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Buddhas kleiner Finger

Buddhas kleiner Finger

Titel: Buddhas kleiner Finger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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verloren; nichts blieb als der rasende Schmerz.
    »Was denn angeschlagen? Wo denn angeschlagen!« drang es aus der rotglühenden, pulsierenden Tiefe zu ihm herauf. »Zwei Kratzer an der Stoßstange, das nennst du angeschlagen? Was, was? Selber! Idiot! Drecksstück! Hä? Ach, leck mich doch am A…«
    Der Hörer knallte auf die Gabel, worauf das Faxgerät sofort wieder zu klingeln begann.
    Serdjuk nahm wahr, daß der Raum, aus dem die Telefonanrufe und Kawabatas Flüche und überhaupt alles übrige zu ihm drangen, weit weg von ihm war – ein so sehr geschrumpftes Segment der Wirklichkeit, daß man sich heftig zusammenreißen mußte, um zu verfolgen, was dort geschah. Sich so zusammenreißen zu müssen war sinnlos (auch wenn Serdjuk inzwischen wußte, daß diese Art des Zusammenreißens das Leben war). Dieses ganze langwierige, mit Sehnsucht, Hoffnung und Furcht gefüllte menschliche Dasein rückte von ihm ab – ein flüchtiger Gedanke, der seine Aufmerksamkeit für kurze Zeit abgelenkt hatte. Serdjuk (der in Wirklichkeit kein Serdjuk war) schwebte im leeren Raum, einem Raum ohne Eigenschaften, jenseits von Gut und Böse, schwamm spürbar auf etwas zu, das riesengroß war und eine unerträgliche Hitze ausstrahlte. Das Schrecklichste war, daß er rücklings auf dieses große, feuerspuckende Etwas zuschwamm und es deswegen nicht sehen konnte. Es war einfach nicht auszuhalten. Fieberhaft begann Serdjuk nach jenem Punkt zu suchen, wo die alte, vertraute Welt geblieben war. Und, o Wunder! es gelang. Wie eine Glocke dröhnte Kawabatas Stimme in seinem Kopf:
    »Zu Hause in Japan war man ja skeptisch, ob Sie es schaffen. Aber ich wußte es. Erlauben Sie nun, daß ich Ihnen den letzten Dienst erweise. Osch-h-h!«
    Danach war lange Zeit nichts. So lange, daß Zeit nicht mehr zu existieren schien. Schließlich hörte man es husten, Dielen knarrten, und die Stimme des Professors sagte:
    »Tja, Senja. So haben sie dich dann auf dem Lüftungsschacht gefunden. Eine Rose in der Hand. Mit wem hattest du denn an dem Tag gesoffen, weißt du das noch?«
    Die Antwort blieb aus.
    »Tatjana Pawlowna«, sagte der Professor, »zwei Kubik, bitte. Ja.«
    »Aber, Herr Professor«, kam überraschend Wolodins Stimme aus der Ecke, »das waren doch die Geister.«
    »Ach so? Was denn für Geister?« erkundigte sich Professor Kanaschnikow höflich.
    »Die aus dem Hause Taira. Jede Wette! Und wie er mit ihnen umgegangen ist, läßt vermuten, daß er den Tod gewollt hat. Jawohl, so wird es gewesen sein.«
    »Wieso ist er dann am Leben geblieben?« fragte der Professor.
    »Er hatte das Olympia-T-Shirt an. Das von der Moskauer Olympiade, mit den vielen kleinen olympischen Ringen, wissen Sie noch? Er ist mit dem Schwert durch das T-Shirt gegangen.«
    »Na und?«
    »Das hat gewirkt wie magische Hieroglyphen. Ich hab gelesen, es gab im alten Japan so einen Fall, daß sie einen Mönch am ganzen Körper mit Abwehrzeichen vollgepinselt haben, nur die Ohren haben sie vergessen. Und als die Taira-Geister kamen, haben sie die Ohren mitgenommen, alles übrige war für sie einfach unsichtbar.«
    »Und warum haben sie ihn heimgesucht? Den Mönch damals, meine ich?«
    »Er konnte gut Flöte spielen.«
    »Flöte, aha. Das ist allerdings logisch«, sagte der Professor. »Und daß die Geister Dynamo-Fans waren, hat Sie das gewundert?«
    »Nein, wieso«, sagte Wolodin. »Manche stehen auf Spartak, manche auf den Armeesportklub, warum soll es nicht auch welche geben, die zu Dynamo halten?«

7
    »Dynamo! Dynamo! Wirst du wohl herkommen, Biest!«
    Ich sprang vom Bett. Irgendein junger Kerl, der einen abgerissenen schwarzen Überzieher auf dem nackten Oberkörper trug, rannte auf dem Hof brüllend hinter seinem Pferd her.
    »Dynamo! Bleib stehen, dumme Trine! Wo willst du denn hin!«
    Unter meinem Fenster schnaubten noch mehr Pferde, umringt von einer großen Menge rotgardistischer Soldaten, die es gestern hier noch nicht gegeben hatte. Daß es rote Truppenteile waren, ließ sich eigentlich nur an ihrem losen Aufzug erkennen – bunt zusammengewürfelt, überwiegend Zivil, woraus man schließen durfte, daß die Kleiderkammern vorzugsweise bei Plünderungen aufgefüllt worden waren. Ein Mann mit Budjonnymütze (der rote Stern schief angeheftet) stand inmitten des Haufens und gab, mit den Armen rudernd, irgendwelche Anweisungen. Von der großen roten Säbelschramme quer über die Wange einmal abgesehen, erinnerte er mich verblüffend an jenen Furmanow, Kommissar des

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