Bullet Boys
er meinen Kopf am besten abkriegt. Ich wette, er hat im Keller eine ganze Kollektion von Schädeln minderjähriger Trinker.
»Eine Cola, bitte«, sage ich kleinlaut.
Der Häuptling zapft mit seinen mächtigen Armen eine Cola aus dem Hahn, kippt Eis dazu und steckt dann einen rosa gestreiften Strohhalm ins Glas. Ist das Absicht? Vielleicht als geheimes Zeichen für seine Kollegen, mir keinen Alkohol zu servieren?
Ich zahle und kehre an meinen Platz zurück. Wegen des Strohhalms wird niemand glauben, dass das Rum mit Cola ist. Was bin ich für ein Schisser. Ich habe mich in einen feigen Löwen verwandelt. Vor ein paar Monaten wäre ich mit einem Trupp von der Risings in diesen Laden spaziert und hätte mir überhaupt keinen Kopf gemacht. Ich hätte den gefälschten Ausweis geschwenkt und mir und Gerry Fischer ein Bier bestellt. Jetzt sitze ich hier mit meinem Kribbelwasser und mir ist total mulmig. Was ist mit mir geschehen?
Ein Hauch kalter Luft strömt an meinen Hals, die Tür schwingt auf. Im Bild auf der gegenüberliegenden Wand spiegelt sich der Eingang, sodass ich drei Männer hereinkommen sehen kann. Ihre sehr kurz geschorenen Haare, ihr knalliges Männerparfüm und die sauberen, gebügeltenSachen drängen mir den Schluss auf, dass es sich um Soldaten aus der Kaserne handelt. Unverkennbar, einer wie der andere: junge Männer, ein eingeschworener Trupp, gesund, schlau, zwischen achtzehn und zwanzig, haufenweise Machosprüche, laute, selbstbewusste Stimmen. Das sind Soldaten, aber richtige. Ich überlege, was Simon wohl gerade macht. Er müsste morgen nach Hause kommen.
Die Soldaten besetzen die Bar und ich mache mich unsichtbar. Das ist ein Trick, den ich mir in der Risings zugelegt habe: Wenn ich niemandem in die Augen gucke, sondern den Blick irgendwo in die Ferne fixiere und einfach annehme, dass mich niemand sieht, dann ist das meistens auch so. Inzwischen gelingt mir das Unsichtbarsein schon fast zu gut; manchmal erwische ich mich dabei, wie ich vor mich hin murmle und denke, niemand hört mich.
Jetzt murmle ich nicht, stattdessen trinke ich meine Cola aus, aber ich habe nicht mehr den Nerv, aufzustehen und mir noch was zu bestellen.
Ich könnte draußen auf die anderen warten oder einfach nach Hause gehen.
Nach der Sache in der Risings hat Dad mich als Idioten und Feigling bezeichnet. Ich streiche mit dem Finger über meinen Mund.
»Ein Idiot und ein Feigling«, sage ich leise. Bitte, ich sag’s doch, ich rede schon wieder mit mir selbst. Das passiert, wenn man nicht aufpasst. Ich verwandle mich in eine verrückte alte Frau, die ihr Strickzeug sucht. Sobald die Soldaten ihre Getränke von der Bar geholt und sich hingesetzt haben, werde ich diese Scheiß-Kneipe verlassen.
Wieder geht die Tür auf. Diesmal ist es jemand, den ichkenne. Da würde es blöde aussehen, wenn ich ginge. Alex, der Mann der Berge, steht unsicher blinzelnd da, aber für Alex sieht er ziemlich gut aus, so ganz in Schwarz.
»Hier!«, sage ich mit krächzender Stimme. Ich möchte kein Aufsehen erregen. Alex ist nicht gerade gesprächig, aber das ist immer noch besser, als alleine zu sein. Zu meiner Überraschung lächelt Alex, als er auf mich zukommt. Ich habe nicht geglaubt, dass er über die dafür nötigen Muskeln verfügt. Oh. Jetzt sehe ich, warum er lächelt: Sasha, die Mädchen-Mutter, ist direkt hinter ihm.
Ich nicke ihr zu. Wo hat sie ihr Kind?
Alex zieht einen Stuhl für sie heran.
»Levi kommt immer zu spät«, sagt Sasha. Sie trägt ein grünes T-Shirt und Jeans. Das T-Shirt sitzt ein bisschen knapp, aber ich muss zugeben, sie hat tolle Titten. Ihr Bauch steht ein bisschen vor. Das kommt wahrscheinlich vom Kinderkriegen. Mein Bauch wölbt sich immer nach innen, egal, wie viel ich esse. Bei uns in der Familie sind alle bis auf Dad dünn. Dad sieht aus wie eine preisgekrönte Rübe, Simon ist die typische Bohnenstange und Mutter macht Diäten, seit ich denken kann. Sie fürchtet sich vor Fett, als wäre das eine giftige Substanz. Sie verachtet und bemitleidet fette Frauen aus tiefstem Herzen (aber wabbelige Männer merkwürdigerweise nicht). Mum findet es geil, ganz wenig zu essen. Man könnte meinen, sie hätte eine riesige imaginäre Stickersammlung vor sich und würde sich jedes Mal, wenn sie einen Muffin ablehnt, mit einem virtuellen goldenen Sternchen belohnen. Wenn Dad nach Scherzen zumute ist, nennt er sie »Knubbelchen«, bloß damit sie sich aufregt. Das klappt jedes Mal, obwohl er kiloweise mehr Fett
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