Bullet Boys
schreiend hinter mir her durchs Heidekraut stapft. Gegen den sehe ich alt aus. Der Soldat ist unmenschlich schnell und holt mächtig auf. Vor mir sind Bäume und ein Fluss. Vielleicht kann ich mich auf der anderen Seite irgendwo verstecken.
Japsend wie ein Hund platsche ich ins kalte Wasser. Meine Hosen saugen sich voll und ziehen mich bei jedem Schritt runter. Das ist der größte Albtraum aller Zeiten. Autsch! Ich stolpere über einen Ast, aber kaum habe ich mich aufgerappelt, da rutsche ich auf einem glatten Stein aus. Meine Schnürsenkel sind auf, doch ich bleibe nicht stehen, um sie zuzubinden. Auf der anderen Seite des Flusses klettere ich am Ufer hoch und renne mit klatschenden Hosenbeinen und offenen Schuhbändern am Wasser entlang. Der Fluss schlängelt sich durch ein Tal, der steile Hang ist mit dichtem Buschwerk bewachsen. Ich krieche durch das Gestrüpp und kämpfe mich dann über das freie holprige Gelände nach oben. Es geht so steil aufwärts, dass meine Wadenmuskeln schier zerreißen wollen und mir das Herz den Hals hochwummert. Das ist meine einzige Chance zu entkommen. Hier gabelt sich der Fluss. Hinter mir liegt ein versumpftes Tal, vor mir dieser gewaltige Hügel. Ich muss weiterlaufen. Ich muss oben sein, bevor mich der Soldat sieht und mich erwischt. (Hat er ein Gewehr? Wollten die heute Nachmittag nicht Schießübungen mit scharfer Munition machen? Ich sehe im nächsten Tal eine rote Fahne wehen. Vielleicht hat der Soldat scharfe Munition.) Wimmernd steige ich weiter. Der Boden unter mirbewegt sich in langsamen Wellen. Mir tut alles weh. Zweimal falle ich, mir ist schwindelig, aber ich zwinge mich weiterzugehen, ich drücke meine Fußspitzen in den sonnenverbrannten Boden, stapfe durch das gelbe Gras und keuche dabei so laut, dass ich bestimmt meilenweit zu hören bin. Ich bin verloren. Ich fluche vor mich hin, das kann ich nicht abstellen. Und immer wenn ich denke, jetzt bin ich oben auf dem Grat, türmt sich vor mir ein neuer Horizont auf, wieder fünfzig Meter weiter oben.
Im Fluss unter mir höre ich ein Platschen. Gleich wird der ausgebildete Killer auftauchen, nach oben gucken und meinen Arsch mit Patronen vollpumpen oder mir mit seinem durchtrainierten Soldatenkörper hinterherjagen und mich in wenigen Minuten einholen. Ich weiß, was ich zu erwarten habe. Ich habe gesehen, wie sich mein Bruder von einem fitten Schulsportler in einen starken, muskulösen Supermann verwandelt hat, mit einem Stehvermögen, als hätte er Knochen aus Metall.
Körperliche Fitness war nie mein Ding, und ich bin diesem Soldaten nur deswegen voraus, weil ich einen riesigen Vorsprung hatte und weil ich um mein Leben renne und weil ich alles verlieren werde, wenn ich nicht das Äußerste aus mir heraushole.
Endlich sehe ich den höchsten Kamm mit einer Reihe dürrer, vom Wind gebeugter Bäume, die an verwachsene Rücken alter Frauen erinnern. Ich schwinge mich über eine alte Steinmauer, lande auf Schafkötteln in Tic-Tac-Größe und mein Atem kriegt sich überhaupt nicht mehr ein. (Brauche ich Sauerstoff?) Ich stütze mich auf die Ellbogen, richte mich vorsichtig auf und blicke hinunter.
Der Soldat steht ganz unten an der Böschung, wo derFluss sich gabelt. Er blickt den Fluss auf und ab, dann sucht er das Tal ab. Ich ducke mich, zähle langsam bis zehn, dann gucke ich noch einmal. Jetzt steht der Soldat mit dem Rücken zu mir, seine Schultern heben und senken sich von der Anstrengung. Ich krümme mich vor Angst zusammen. Ich kann mich nicht bewegen, ich muss einfach ein paar Minuten lang zu Atem kommen. Vor mir liegt weites Moorgelände. Abgesehen von einzelnen Ginsterbüschen oder Grasbüscheln gibt es dort keinerlei Deckung.
Horror. Der Soldat blickt den Hügel hinauf, direkt in meine Richtung. Ganz, ganz langsam lasse ich mich flach auf den Boden runter. Heißt der Typ Baz? Stimmt das? Baz? Baz. Ich laufe vor Baz weg. Ich höre Fluchen und Platschen. Ich robbe ein Stück an der Mauer entlang, bis ich eine Ritze mit Farnkraut finde, durch die ich gucken kann. Wenn der Soldat sich entscheidet, hier hochzukommen, kann ich nichts machen. Ich bin fertig. Die Anstrengung eben hat mich meine letzte Kraft gekostet. Ich weiß nicht, ob ich weitergehen kann, geschweige denn rennen.
Baz steht wieder mit dem Rücken zu mir. Ich sehe dunkle Schweißflecken auf seinem Hemd. Ah! Ich schöpfe Hoffnung. Baz watet in die andere Gabel des Flusses, weg von mir. Weg!
Ich lehne mich an die Steine, habe immer noch Mühe,
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