Bullet Catcher - St. Claire, R: Bullet Catcher
Eine, zwei. Fünf. Mit jeder Sekunde, in der kein Schuss zu hören war, fühlte sie sich besser. Sie stellte sich vor, wie Adrien durch den Dschungel zurückkehrte, um sich unbemerkt zum Palast zu schleichen … Aber was dann?
Noch immer war kein Schuss zu hören.
Abermals zog sie das Handy heraus, prüfte das Display und drehte es dann um, um zu sehen, ob der Chip noch an Ort und Stelle war. Im selben Moment begann der Boden unter ihr zu beben, begleitet von einem schauerlichen, tiefen Grollen, als riebe Stein gegen Stein.
Sie erstarrte und verfolgte mit nacktem Entsetzen, wie sich die Grabplatte zu ihren Füßen bewegte, sich mit einem Krachen hob, so schnell, dass es Miranda von den Beinen zog. Sie stürzte seitwärts und schlug erst mit den Händen und einen Sekundenbruchteil später mit dem Kopf auf dem Steinboden auf.
Das Handy fiel in das Loch, das sich plötzlich im Boden aufgetan hatte.
Langsam und lautlos wie eine Erscheinung stieg ein Mann von unten herauf. Miranda blieb ein Schrei in der Kehle stecken, als er mit maßvollen Schritten die Stufen emportrat. Sein Gesicht trug die Farbe des Blutopfers, Hellblau, in Streifen auf Wangen und Kehle gestrichen. Bis auf einen Lendenschurz war er nackt, vor seiner Trichterbrust baumelte ein großer Jadeanhänger. Er war von Kopf bis Fuß mit Blut verschmiert. Blut troff ihm von den Ohren, von den Schultern und von den Händen, als er sie vor Mirandas Gesicht hob.
»Ich habe die Götter gebeten, meine Probleme zu lösen«, flüsterte er leise. »Und sie haben dich zu mir geschickt.«
Vor ihr stand ein lebendiger, atmender, bedrohlicher Maya-König.
»Miranda.« Er grinste sie höhnisch an, wischte sich mit seiner blutigen Hand über das Kinn, wobei er die blauen Flecken auf seinem Gesicht rot verschmierte. »Du wurdest auserwählt, im Namen der Götter als Blutopfer dargebracht zu werden.«
Wie gelähmt vor Panik blickte sie vom Boden auf in blassblaue – und erschreckend vertraute – flackernde Augen.
22
Der Bunyip in Fletchs Kopf war vollkommen ausgerastet und schrie ihm unflätige Beschimpfungen in die Ohren.
Warum hast du sie zurückgelassen? Warum hast du nicht auf den Helikopter gewartet? Wade Cordell hätte den Typ vom Hubschrauber aus mit geschlossenen Augen kaltgemacht. Aber nein – Fletch musste mal wieder Superman geben, die Welt retten, das Mädchen holen und nach Möglichkeit auch noch seine Chefin beeindrucken.
Er spuckte aus, um die Stimme in seinem Kopf und den unangenehmen Geschmack von Dreck und Dschungel auf seiner Zunge loszuwerden.
Halt’s Maul, Bunyip. Ich muss das tun.
Fletch umrundete die äußeren Gebäude der Anlage und hielt sich dabei stets so nahe an der Nordwand des Hauptgebäudes, dass er vom Turm aus nicht gesehen werden konnte. Am liebsten hätte er einen Schritt nach draußen gemacht, um nach oben zu schauen, doch das Risiko konnte er nicht eingehen. Selbst wenn er den Schützen entdeckte, könnte er nichts unternehmen, da die Reichweite seiner Glock nicht ausreichte.
Bislang war er sich sicher, noch nicht entdeckt zu sein, und so flitzte er auf die Terrasse hoch und prüfte, den Rücken fest gegen die Wand gepresst, eine Tür nach der anderen. Alle waren verschlossen. Doch schießen konnte er nicht, sonst würde er seine Position verraten.
Ihm fiel auf, dass über ihm der Balkon des Zimmers lag, das er mit Miranda geteilt hatte. Die kunstvollen Maya-Reliefs und die Masken boten hervorragende Klettergriffe an der Wand, und binnen einer Minute hatte er sich bis zur Balkonbrüstung hochgezogen. Mit einem energischen Ächzen schwang er die Beine über das Geländer und landete auf den Füßen.
Die Vorhänge hinter den Fenstern waren zugezogen, doch als er die Glastür berührte, gab sie nach, und er dankte im Stillen dem Zimmermädchen, das vergessen hatte, sie zu schließen. Er zog die Waffe, die er für die kleine Kletterpartie eingesteckt hatte, und schob den Vorhang zur Seite. Das Zimmer war leer und dunkel. Er ging direkt zur Tür, die auf die Vorhalle hinausführte, von der aus das Nachbarzimmer zugänglich war. Draußen blieb er stehen, um sich die Aufteilung dieser zweiten Etage einzuprägen.
Die Treppe zum Turm befand sich im Zentrum des Gebäudes und war nur durch den Hauptwohnbereich zugänglich. Fletch fand aus dem Gedächtnis den Weg in diesen Raum, der eine Etage tiefer im Herzen des Gebäudes lag. Es war kühl und dunkel hier, da die Schlagläden geschlossen waren, und im schwachen Licht konnte er
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