Bullet Catcher: Wade (German Edition)
wir dann immer noch hier?«
Als er endlich aus der Parklücke stieß, griff sie hinter sich und fischte ihre Yankees-Kappe aus dem Seitenfach ihrer Tasche. Sie zog den Pferdeschwanz durch das Loch hinten; das verstellbare Band verdeckte die Reste der blassen Lasernarbe, die sie beständig daran erinnerte, wer sie wirklich war, wie ihr schillernder Kindheitstraum geplatzt und dass Eileen Stafford schuld am Tod ihres Vaters war.
»Erzähl mir was über unseren großzügigen Gastgeber«, sagte er und winkte den gelben Pick-up durch, der sich nervenaufreibend viel Zeit ließ.
»Nicholas Vex, Geschäftsführer eines großen Chemieunternehmens und ein echtes Arschloch.«
»Vexell Industries? Da ist › groß ‹ aber noch untertrieben.«
»Arschloch auch. Vex ist einer von Marcus’ alten Kumpeln und wahrscheinlich unser größter und einflussreichster Kunde. Ich habe mehrere Deals mit ihm gemacht. Er bringt uns viel Geld ein; seine Aktien stehen prächtig, seit sein Laden das Patent auf die Kunststoffschicht hat, die jede Tastatur überzieht, die auf der Welt hergestellt wird. Aber das Haus steht leer – was kümmert es uns, dass er ein Idiot ist?«
Vanessa betrachtete die heruntergekommenen Blechhütten neben den viktorianisch verspielten Fassaden in Lavendelblau, Fuchsienrot und Cremeweiß – eine Mischung aus Armut und Wohlstand, neuem Reichtum und Tradition. Vor ihnen bog der gelbe Pick-up an einer Kreuzung ab, doch statt Gas zu geben, blieb Wade in gemächlichem Tempo, und sie holperten über die Straße, die früher einmal asphaltiert gewesen sein musste, jetzt aber voller Schlaglöcher und Auswaschungen war.
Ihr Ziel, die Stadt Cotton Ground, lag nur rund sechs Meilen nördlich – doch die Straßen waren so steil und kurvig, dass man kaum vorankam. Der typische Geruch der Insel nach Zitronen und Salz war allgegenwärtig, und da Wade so langsam fuhr, lehnte sich Vanessa zurück, atmete tief ein, schloss die Augen und ließ den Stress ein wenig von sich abfallen.
»Ich möchte dir eine Frage stellen«, sagte Wade, und trotz des lässigen Akzents hörte sie eine Intensität heraus, die ihr einen Schauder über den Rücken jagte. »Warum erzählst du deinem Chef nicht die Wahrheit? Ihm dürfte doch auch daran gelegen sein, Clive wiederzufinden – ungeachtet dessen, ob der gekündigt hat oder nicht.«
»Hast du deinem Vorgesetzten noch nie etwas verschwiegen, das sich negativ auf deinen Job auswirken könnte?«
»Nein.«
»Dann musst du einen verdammt krisensicheren Job haben.«
»Ist deiner denn nicht krisensicher?«
»An der Wall Street ist gar nichts sicher. Für Marcus ist Clive ein Verräter, ganz gleich, was er mit seinem Leben noch vorhat.«
»Und du hast nicht das Recht, mit jemandem befreundet zu sein, der die Firma verlassen hat? Was ist das denn für eine merkwürdige Philosophie?«
»Eine erfolgreiche. Wenn jemand geht, nimmt er Insiderinformationen im Wert von Millionen Dollar mit. Zum einen hasst es Marcus natürlich, gute Leute zu verlieren; zum anderen aber hält er meiner Meinung nach diese ganze Aussteigergeschichte für einen Bluff und denkt, Clive sei in Wahrheit zu einer anderen Firma gegangen.«
»Vielleicht ist es ja so.«
»Ich glaube nicht«, erwiderte sie aufrichtig. »Clive würde so etwas nie tun, ohne es mir zu erzählen. Wir haben keine Geheimnisse voreinander.«
»Offensichtlich doch, sonst wären wir nicht hier.«
Sie ließ ihren Blick über den atemberaubend schönen Horizont gleiten, wo das türkisgrüne Wasser an den leuchtend blauen Himmel grenzte. Kannte sie Clive wirklich so gut? Sie waren Kollegen, gute Freunde, Vertraute – und doch …
»Ich schätze, alles ist möglich«, gab sie zu. »Clive ist so verdammt gut in dem, was er tut, dass er tagtäglich Anrufe von Headhuntern bekommt, so wie ich auch. Und wenn eine Firma wie Fidelity oder Legg Mason mit unanständig hohen Gehältern lockt, tja, dann könnte es schon passieren, dass er ginge. Aber er würde mir davon erzählen. Er würde sich nicht einfach in Luft auflösen – das Risiko wäre ihm viel zu groß. Geld ist ihm wichtig, aber sein Ruf ebenso.«
Wade legte eine Hand auf ihren Arm. »Ich will deinen Freund nicht in ein schlechtes Licht rücken, Vanessa. Ich versuche nur, alle Möglichkeiten in Betracht zu ziehen, die einen Hinweis bieten könnten, wo er steckt. Kann es sein, dass er einen Wechsel zu einer Konkurrenzfirma geplant hatte und sich aus der Schusslinie bringen wollte? Oder, ich weiß
Weitere Kostenlose Bücher