Burke 2 - Strega
blickte zu ihr zurück.
Strega machte mit den Lippen eine Kußbewegung, um mir Aufwiedersehen zu sagen. Es sah aus wie ein Hohnlächeln.
Es war noch eine halbe Stunde bis Mitternacht, als ich in die U-Bahn zurück nach Manhattan stieg. Die Bürger der Tagschicht waren weg, doch dieselben Regeln galten weiter – schau runter oder schau hart. Ich tat abwechselnd beides, bis der Zug unter dem World Trade Center kreischend zum letzten Halt kam. Ich blieb unter der Erde, folgte dem Tunnel ein paar Straßen bis zum Park Place, fand den Lincoln just, wo ich ihn gelassen hatte, und fuhr zurück zum Büro.
Ich ließ Pansy raus aufs Dach und suchte in dem winzigen Kühlschrank nach etwas zu essen. Nichts außer einem Glas Senf, einem anderen mit Mayonnaise und einem gefrorenen Brötchen. Ich goß mir ein Glas kaltes Wasser ein und dachte an die Mayonnaise-Sandwiches, die wir uns immer im Gefängnis gemacht und ins Hemd gestopft hatten, um sie mitten in der Nacht zu essen. Manchmal fiel es mir schwer, meine Gedanken nicht zurück in den Knast schweifen zu lassen, doch meinen Magen hatte ich trotzdem unter Kontrolle. Ich würde morgen was essen.
Die Bilder von Stregas kleinem Scotty waren auf meinem Schreibtisch – ein glücklicher kleiner Bengel. An einer Wand meines Büros hängt exakt über der Couch ein großes Stück Korkbrett.
Dort gab es eine Menge Platz für die Bilder des Jungen. Ich pinnte sie an, damit ich mir sein Gesicht leichter merken konnte – ich wollte sie nicht mit mir rumschleppen. Ich zündete mir eine Zigarette an und ließ den Blick von der brennenden roten Spitze zu den Bildern des Jungen gleiten.
Arbeitete daran. Zog eine Niete.
An der Hintertür pochte es – Pansy war es leid geworden zu warten, daß ich hoch aufs Dach kam. Ich ließ sie rein, drehte das Radio an, während ich für das Monstrum noch etwas mehr Futter zubereitete. Dann legte ich mich auf der Couch flach. Das Radio spielte »Your’re a Thousand Miles Away« von den Heartbeats. Ein Song aus einer anderen Zeit – er sollte einen an einen Typen beim Militär denken lassen, dessen Mädchen daheim auf ihn wartet. Bei den Jungs, die oben auf dem Lande saßen, war es ein richtig populärer Song gewesen. Als ich wegdöste, dachte ich an Flood in irgendeinem Tempel in Japan.
Beim Geruch von Hundefutter wachte ich langsam auf.
Pansys Gesicht war Zentimeter vor meinem, ihre kalten, wässrigen Augen bewegungslos, geduldig wartend. Etwas ging mir im Hinterkopf herum – wo ich es nicht zu fassen kriegte.
Etwas mit den Bildern des Jungen. Ich lag da, ignorierte Pansy und versuchte wieder zu mir zu kommen. Es nutzte nichts. Eine Masse Träume kehren nie wieder.
Ich nahm eine Dusche und ging aus, mir ein Frühstück besorgen, versuchte noch immer drauf zu kommen, was mir aufgestoßen war.
Was immer es war, es mußte warten, bis es drankam.
Pansy aß ihren Anteil von den Teekuchen, die ich mitgebracht hatte. Erst als ich die Zeitung weglegte, stellte ich fest, daß ich nicht einmal auf die Rennergebnisse geguckt hatte. Die Depression stellte sich so sicher wie die Frostkralle ein – so nennen die Leute hier in der Gegend den Winter. Sie nennen ihn so, weil er einen umbringt. Ich mußte Immaculata Bescheid geben, daß ich den Jungen für ein Gespräch mit ihr haben konnte. Und danach mußte ich warten.
Ich stoppte an einer Ampel an der Ecke Bowery und Delancey.
Ein großer schwarzer Typ mit einem dreckigen Verband ums halbe Gesicht bot mir an, für fünfundzwanzig Cent die Windschutzscheibe zu putzen. Eine abgehalfterte weiße Frau, über deren müdem Gesicht eine billige Perücke hing, bot mir an, für zehn Kröten mein Rohr zu putzen. Ich bezahlte den schwarzen Typ – Geschlechtskrankheiten zählten nicht zu meinen Hobbys.
Die Gasse hinter Mamas Schuppen war leer, wie immer.
Ich ließ mich an den Tisch im Rückraum plumpsen, fing Mamas Blick auf. Einer der Kellner kam mit einer Suppenterrine aus der Küche. Ich winkte ihn weg – ich war nicht hungrig. Trotzdem stellte er die Terrine vor mich hin. Wenn Mama ihm sagte, er solle Suppe bringen, brachte er Suppe.
Mama kam nach ein paar Minuten nach hinten, die Hände in den Seitentaschen ihres langen Kleids. »Du nimm kein Suppe?«
fragte sie.
»Ich bin nicht hungrig, Mama«, sagte ich ihr.
»Suppe nich für Hunger. Nich Essen – Medizin, okay?«, sagte sie und setzte sich mir gegenüber. Ich sah sie die Kelle packen und jedem von uns einen großzügigen Schlag einschöpfen.
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