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Bußestunde

Bußestunde

Titel: Bußestunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arne Dahl
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könnte jetzt im Alter den Lehrerberuf idealisieren, aber ich kann es nicht. Wir sind auch nur Menschen, und wir sind fast täglich mit lebenslangen Traumatisierungen konfrontiert.«
    »Fredrik, Anders, Ulla, Sofia, Lasse?«
    »Vielleicht auch Jocke …«
    Chavez holte das Klassenfoto heraus, das die Studiendirektorin ausgedruckt hatte, und verglich die Namen.
    »Fredrik Ahlberg, Anders Koskinen, Ulla Johansson, Sofia Rimstedt, Lars Persson, Joakim … Bergsten?«
    »Nicht Sofia Rimstedt«, sagte Ann-Britt Grundin. »Sie gehörte eher in die mittlere Gruppe. Sofia … Larsson-Olsson? Doppelname …«
    »Sie vergessen wirklich nie einen Schüler«, sagte Chavez mit dem Blick auf das Klassenfoto. »Sofia Olsson-Larsson. Anstrengender Name. Wissen Sie, was aus ihnen geworden ist? Und natürlich auch aus denen von der coolen Gruppe? Wie hießen sie noch?«
    »Das ist das ewige Dilemma«, sagte Grundin. »All diese Namen …«
    »Hanna Hörnblom, Lisa Jakobsson …«
    »Das ist wirklich eine Herausforderung … Da war Hanna natürlich, dann Lisa, Alice und … Matilda.«
    Wieder zog Chavez das Klassenfoto zurate. »Alice Nordin und Matilda Broman?«
    »Ja, das waren alle. Lisa und Matilda waren die mit den eindeutigen Essstörungen, so im Nachhinein betrachtet. Hanna war natürlich schlank, und alle nahmen sie sich zum Vorbild. Alice war auch schlank, aber nicht anomal.«
    »Und wissen Sie, was aus ihnen geworden ist? Oder einigen von ihnen?«
    »Ich glaube, dass Matilda an der Uni politische Wissenschaft studierte. Ich hatte später eher sporadisch Kontakt mit ihr. Fredrik soll kriminell geworden sein, aber darüber weiß ich nichts. Jocke, der Ärmste, hat sich, wenn ich mich richtig erinnere, das Leben genommen – warf sich vor einen Zug wie Ted Gärdestad. Und auch in der gleichen Gegend, Sollentuna. Sonst weiß ich praktisch nichts.«
    »Jetzt kommt meine eigentliche Kernfrage«, sagte Chavez und schaute von Ann-Britt Grundins gemütlichem Balkon zum Himmel auf. »Wie ernst war das alles? Wie stark sind die Traumatisierungen, von denen wir sprechen? Vergessen Sie einen Moment die Frage einer eventuellen Mitschuld, und versuchen Sie, die Situation ganz nüchtern zu betrachten.«
    Ann-Britt Grundin blickte zum selben Himmel auf wie Chavez. Es war ihr anzusehen, dass sie wirklich nachdachte.
    »Es ist so viel einfacher, sich an ihre Namen und Gesichter zu erinnern«, sagte sie schließlich. »Die Probleme verdrängt man. Ich habe mich einmal dabei ertappt, dass ich einen jungen Mann in einem romantischen Licht sah, der sich in der Schulzeit erhängt hatte, auf dem Dachboden der Schule. Ich erinnerte mich an ihn als jungen, vitalen, gesunden Jungen. Aber die Erinnerung lügt. Die Erinnerung muss lügen, damit man es aushält. In dem Fall bin ich wirklich kein zuverlässiger Zeuge. Aber ich kann mich tatsächlich an nichts erinnern, das lebenslange Traumata hätte schaffen können. Denn ich nehme an, nach so etwas suchen Sie?«
    »Ja.«
    »Ich habe es geahnt. Ist Lisa tot?«
    »Lisa ist entführt worden und möglicherweise tot. Wenn sie nicht tot ist, wird sie gefoltert.«
    Ann-Britt Grundin zuckte zusammen. Sie schloss die Augen.
    »Ich erzähle dies, obwohl es äußerst geheim ist«, fuhr Chavez fort. »Ich glaube, Sie können mit der Schweigepflicht umgehen. Aber ich tue es, damit Sie mit all Ihren Kräften versuchen, sich zu erinnern. Sich wirklich ganz klar und deutlich zu erinnern.«
    Grundin öffnete die Augen. Langsam und vorsichtig. Als ob das Licht drohte, sie mit Blindheit zu schlagen. Dann sagte sie: »Nein, ich weiß es nicht. Aber das eine weiß ich, dass ich wohl die Letzte gewesen wäre, die es erfahren hätte, wenn so etwas passiert wäre.«
    *
    Sie trafen sich in der Hasselgatan am Väsbyskog. Sie standen über die Motorhaube gebeugt. Dort lag ein Foto, ein Klassenfoto. Um eine ansehnliche Anzahl von Namen waren Kreise mit Kugelschreiber gezogen. Manche der Namen hatten zwei Kreise, andere nur einen.
    »Zwei Ringe sind also die coolen Mädels?«, fragte Jon Anderson.
    »Mädels?«, sagte Chavez skeptisch.
    »Das sagen sie in Schonen«, erklärte Anderson. »Skurup-Schonisch.«
    »Und der Rest sind unsere sogenannten Outsider«, sagte Chavez. »Kein Kreis bedeutet die Gruppe dazwischen.«
    »Die graue Masse, zu der man selbst gehörte«, sagte Anderson. »Obwohl man vor Farben nur so sprühte. Alles drehte sich darum, um jeden Preis so auszusehen, als gehörte man zur grauen Masse.«
    »Wenn es darauf

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