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Bußestunde

Bußestunde

Titel: Bußestunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arne Dahl
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fragte Chavez.
    »Es kommt nicht häufig vor, dass man mit jemandem spricht, der jedes Wort, das man sagt, persönlich nimmt«, sagte Ann-Britt Grundin. »Hatten Sie eine schwierige Gymnasialzeit, Herr Kriminalinspektor?«
    »Kommen wir zurück zu Lisa Jakobsson.«
    »Das habe ich ja versucht.«
    Da lachte Jorge Chavez. Sein Lachen klang allerdings ziemlich leer und hohl. Dennoch brach er damit das Eis. Er sagte: »Ich weiß, und ich gebe alles zu.«
    Ann-Britt Grundin lächelte fein und sagte: »Heftzwecken, nicht wahr?«
    »Achtzehn Stück«, sagte Chavez.
    »Dumm«, sagte Grundin.
    »Ich weiß«, sagte Chavez.
    »Zum Glück sieht es ja so aus, als hätte sich für den Herrn Kriminalinspektor trotzdem alles zum Guten gewendet.«
    »Ich weiß noch immer nicht, warum ich es getan habe. Ich mochte nämlich die Französischlehrerin. Und sie mochte mich auch.«
    »Das lernt man als Lehrerin«, sagte Grundin und legte ihre dünne, fast durchsichtige Hand auf seine, »dass man in diesem Alter unglaublich vieles tut, ohne zu wissen, warum. Aber denen, die gar nichts tun, ergeht es noch schlechter.«
    »Bei der Polizei bin ich der Streber«, sagte Chavez, er konnte sich nicht bremsen. »Keiner hat sich so frenetisch weitergebildet wie ich. Aber damals bin ich vom Gymnasium geflogen.«
    »Es ist eine traumatische Zeit«, sagte Ann-Britt Grundin. »Eine Zeit, an die sich jeder erinnert. An keinen erinnert man sich so gut wie an uns, die alten Lehrer. Das verlängert unser Leben. Auch das von der Kollegin, die die Heftzwecken in den Hintern bekam.«
    »Der Kreis um Hanna?«, fragte Jorge und lächelte.
    »Eigentlich war daran nichts Besonderes«, sagte Ann-Britt Grundin, die kein Problem damit zu haben schien, den wilden Gedankensprüngen des Kriminalinspektors zu folgen. »Auf dem Gymnasium schließen die Jungen mit den Mädchen auf, in etwa. Dennoch sind die Härtesten in der Klasse Mädchen. Manche schicken sich an, die Moralregeln der Klasse zu bestimmen. Und die sind selten im Einklang mit gewöhnlichen Moralregeln.«
    »Und Lisa Jakobsson?«
    »Es ist wirklich schön, wie Sie immer zum Konkreten zurückkommen. Lisa Jakobsson wurde in einen Kreis hineingezogen, der von Hanna Hörnblom angeführt wurde. Es war ein Kreis, in dem das Aussehen eine große Rolle spielte. In einigen Fällen hatte das echte Essstörungen zur Folge, unter anderem bei Lisa. Man wollte ganz einfach der hauchdünnen, aber, soweit ich weiß, nicht anorektischen Hanna gleichen. Das Problem war, dass wir damals nicht wussten, wie man mit Essstörungen umgehen sollte. Wir verstanden nichts davon. Wir wussten nicht, was das war.«
    »Das galt damals auch für Mobbing.«
    »Ganz genau. Wir Lehrer haben nie gelernt, mit Mobbing umzugehen. Wir weichen aus. Wenn wir uns dem stellen wollen, brauchen wir eine vernünftige Ausbildung dafür, wir müssen die Mechanismen begreifen und wissen, wie wir uns in konkreten Situationen verhalten sollen. Und das Gleiche gilt für Anorexie.«
    »Sie müssen entschuldigen, aber es hört sich doch ganz so an, als sei diese Clique eine Mobbingclique gewesen …«
    »Möglicherweise war sie das, aber darüber kann ich wenig sagen. Aus den Gründen, die ich gerade genannt habe.«
    »Gab es Schüler, die besonders stark zu leiden hatten?«
    »Ich kann nicht sagen, dass jemand direkt das Opfer war. Aber leider gibt es ja in jeder Klasse eine Hackordnung. Ich neige in letzter Zeit – und das macht mich selbst traurig – zu der Ansicht, dass es biologisch ist. Das Heranwachsen dreht sich darum, dass man sich durchsetzt und einen Platz einnimmt. Erst wenn wir das überwunden haben, können wir den nächsten Schritt in der Entwicklung der Menschheit tun.«
    »Und wie sah die Hackordnung in der S3D aus?«
    »Zuerst kam Hanna, dann die Gruppe um sie. Dann kam lange niemand, könnte man sagen, und am Ende kam eine Reihe Außenseiter.«
    »Aber keiner wurde ernstlich gemobbt?«
    Ann-Britt Grundin schwieg. Sie blickte auf den Väsbyskog hinaus, und je mehr Zeit verging, desto tiefer schien ihr Blick in dem schütteren Wald zu versinken.
    »Ich weiß nicht«, sagte sie schließlich.
    »Aber …?«, fragte Chavez.
    »Aber es gab ein paar, denen es nicht so gut ging. Fredrik, denke ich. Anders, Ulla. Vielleicht Sofia und Lasse.«
    »So viele?«
    »Das ist immer so.«
    »Und was unternahmen Sie dagegen?«
    »Wie ich schon sagte: nicht viel. Wir versuchten, sie aufzumuntern und dafür zu sorgen, dass sie nicht aufgaben. Ich wünschte, ich

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