Bußestunde
ankommt, sind wir gar nicht so verschieden«, stellte Chavez fest. »Aber ich habe einen Fehler gemacht, als ich mich von der schönen grauen Masse ausschloss.«
»Ich auch«, sagte Anderson. »Ich bekam einen Ständer in der Sauna.«
»Da kann man mal sehen«, sagte Chavez abwesend. »Die Frage ist, ob wir jetzt und hier herausfinden können, wer von ihnen noch in Väsby und Umgebung wohnt.«
»Die coole Gang: Hanna Hörnblom, Lisa Jakobsson, Alice Nordin und Matilda Broman.«
»Die Außenseiter: Fredrik Ahlberg, Anders Koskinen, Ulla Johansson, Sofia Olsson-Larsson, Lars Persson, Joakim Bergsten.«
»Natürlich können wir das herausfinden«, sagte Jon Anderson und griff zum Autotelefon.
Jorge legte die Hand auf Jons und hielt ihn zurück. »Aber dann müssen wir uns über die Voraussetzungen einig sein.«
»Ich glaube, das sind wir. Die Opfer können aus der coolen Gruppe kommen, mehr oder weniger angekränkelt von Anorexia nervosa. Und der Mörder kann sich in der Gruppe der Außenseiter befinden. Sag mir, wenn ich es falsch sehe.«
»Es geht nur darum, ob die Grundkonzeption stimmt. Wollen wir wirklich hiermit zurück ins Gymnasium?«
»Davon bin ich fest überzeugt«, sagte Jon Anderson. »Ich glaube ganz einfach, dass wir richtig Dampf machen müssen.«
»Dann sind wir endlich einer Meinung«, sagte Jorge Chavez und ließ die Hand seines Partners los.
26
Es war Mittwoch, der 30. August, und es war Abend geworden. Zu Paul Hjelms Verwunderung schaute der Säpo-Chef bei ihm im Büro vorbei, wo gerade ein fünfstimmiger Chor sang, dass die Wände bebten: »Et expecto resurrectionem mortuorum et vitam venturi saeculi.«
Beim Anblick des Säpo-Chefs in der Tür unterbrach Hjelm den Gesang, gerade als der zweite Teil der h-Moll-Messe , »Symbolum Nicenum«, den Höhepunkt erreichen sollte. Abrupte Stille trat ein. Die Musik schien im Augenblick zu erstarren und brüchig zu werden. Sie fiel in Stücken von den Wänden. Hjelm sah einen chaotischen Haufen Puzzlestücke vor sich auf dem Fußboden, und jedes Puzzleteil war ein Stück Wohlklang.
»Was singen sie?«, fragte der Säpo-Chef unberührt.
»Ich erwarte die Wiederauferstehung der Toten und das Leben der zukünftigen Welt«, sagte Paul Hjelm.
»Und ich erwarte binnen Kurzem den Bericht«, sagte der Säpo-Chef und zeigte mit dem Finger auf Hjelms Computer.
»Er ist auf dem Weg«, versicherte Paul Hjelm und zeigte auf denselben Computer.
Daraufhin verschwand der Säpo-Chef mit einem knappen Nicken.
Nein, dachte Paul Hjelm und ließ seinen Blick lange auf der geschlossenen Tür ruhen. Der Bericht war wirklich nicht auf dem Weg. Dagegen die Wiederauferstehung der Toten und das Leben der zukünftigen Welt.
Fawzi Ulaywi und »Orpheus Life Line« fanden sich ganz sicher in den Archiven der Säpo. Seit dem Zweiten Weltkrieg hatte die Säpo in ihren verschiedenen Erscheinungsformen so gut wie jede Organisation unter die Lupe genommen und registriert, die auch nur die kleinste Abweichung von der Normalität erkennen ließ.
Aber er traute sich nicht, sich ins Archiv einzuloggen. Er wusste, dass er Spuren hinterlassen würde.
Und was war mit Tore Michaelis’ Spuren? Es gab keine. Tore hatte bewusst das Archiv der Säpo vermieden. Und Paul Hjelm tat das Gleiche. Er war gezwungen, das Problem anders zu lösen.
Als Erstes hatte er die Hausverwaltung der Östermalms-Halle aufgesucht. Eine ältere Dame leistete ihm Amtshilfe, um in einem sehr verstaubten Kellerarchiv in Övre Östermalm einen elf Jahre alten Mietvertrag zu finden. Er betraf eine kleine Ecke in der Östermalms-Halle, in der ein eben erst eingebürgerter Schwede namens Fawzi Ulaywi ein Café einrichten wollte. Daran war nichts Auffälliges. Kein Anhaltspunkt außer einer Adresse in Alby, unter der natürlich keine Spur von Fawzi Ulaywi mehr zu finden war. Die angegebene Handynummer gehörte jetzt zu einem Transportunternehmen in Borås. Mit einem Seufzen bedankte er sich bei der hilfsbereiten Östermalms-Verwaltungsdame und bekam zum Abschluss eine Kopie des Vertrags.
Am Dienstagabend hatte er diesen gründlich durchgelesen. Dabei war sein Blick an Fawzi Ulaywis Unterschrift hängen geblieben. Sie war ein wenig nachlässig hingeschrieben, wie Unterschriften es meistens sind, aber sie hatte noch die Deutlichkeit, die auf eine Person schließen lässt, die sich gerade ein ganz neues Alphabet angeeignet hat.
Und da stand nicht Fawzi Ulaywi. Ganz sicher nicht.
Jetzt, da sein Blick noch immer
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