Bußestunde
wo ich wohne. Aber ja, ich wohne in der Nähe. Midsommarkransen.
Jorge Chavez: Erinnern Sie sich an Ihre alten Klassenkameradinnen aus der S3D am Vilunda-Gymnasium in Upplands-Väsby? Hanna Hörblom, Lisa Jakobsson, Matilda Broman, Alice Nordin?
Joakim Bergsten: (Bleibt stehen.) Ja, ich erinnere mich an sie. Worum geht es denn?
Jorge Chavez: Wissen Sie auch, was mit den vieren geschieht?
Joakim Bergsten: Warum sollte ich das wissen?
Jorge Chavez: Weil das, was da geschieht, allem Anschein nach etwas mit dem zu tun hat, was Sie veranlasst hat, sich in Sollentuna vor einen Zug zu werfen.
Joakim Bergsten: Wie Ted Gärdestad.
Jorge Chavez: Aber Ted war damit erfolgreich.
Joakim Bergsten: Der Alkohol hat mich gerettet. (Geht wieder weiter.) Das Leben ist voller Paradoxe. Ich wollte mich wirklich umbringen. Ich habe mich ordentlich betrunken, damit ich den Mut aufbrächte. Und nur deshalb bin ich auf dem Bahnsteig gestolpert und bin neben dem Gleis gelandet. Es tut trotzdem ziemlich weh, wenn einem von einem Zug der Arm ausgekugelt wird, das können Sie mir glauben. Auch wenn man besoffen ist.
Jorge Chavez: Und weshalb wollten Sie sich vor den Zug werfen?
Joakim Bergsten: Auch wenn Sie mich zu Tode foltern, werde ich das nicht erzählen. Also versuchen Sie’s gar nicht erst.
Jorge Chavez: Interessante Wortwahl: zu Tode foltern …
Joakim Bergsten: Ich weiß nicht einmal, wessen ich verdächtigt werde.
Jorge Chavez: Das ist schon in Ordnung. Hauptsache, wir wissen es.
Joakim Bergsten: (Lacht auf.) Habe ich diese Bräute also zu Tode gefoltert? Alle vier?
Jorge Chavez: Sie haben mit Ihnen gespielt, Jocke. Die haben Sie für einen Kasper gehalten. Sie waren so schüchtern, dass Sie nicht reden konnten. Sie wurden rot, wenn die Mädchen nur in Ihre Nähe kamen. Ihnen blieb die Luft weg. Das hat die vier angespornt. Das hat sie dazu gebracht, sich überlegen zu fühlen. Erzählen Sie nicht, Sie hätten diese vier nicht gehasst.
Joakim Bergsten: Sie waren Monster. Weibliche Teufel.
Jorge Chavez: Es ist doch gar nicht so schwierig. Sie erzählen mir, was sie mit Ihnen gemacht haben, und dann bin ich zufrieden.
Joakim Bergsten: Sie werden nie zufrieden sein. (Bleibt stehen.)
Jorge Chavez: Ja, hier ist Ihre Haustür, Jocke. Darf ich mit hineinkommen?
Joakim Bergsten: Ich vermute, Sie kennen die Antwort auf diese Frage.
Jorge Chavez : Schön wohnen Sie hier. Aussicht auf das Ericsson-Gelände, mit Teleturm und allem.
Joakim Bergsten: Wiedersehen.
Jorge Chavez: Wir sehen uns.
31
Niklas Grundström war Chef der Abteilung für interne Ermittlungen bei der schwedischen Polizei. Er war ein beispielhaft besonnener Mann, den so leicht nichts aus der Fassung brachte. Die wenigen Male, wo das doch passiert war – wegen all des Machtmissbrauchs, all der unnötigen Gewalt, all des Rassismus und all der Vorurteile –, war irgendetwas geschehen.
Vor einigen Jahren hatte er sich einen Mann als seinen engsten Mitarbeiter an seine Seite geholt, der in vieler Hinsicht sein Gegensatz war. Das brauchte er, um seine eigene Kreativität anzukurbeln. Sein engster Mitarbeiter hieß Paul Hjelm.
In den letzten Tagen war Paul Hjelm jedoch ausgesprochen abwesend gewesen, um nicht zu sagen abweisend. Jedes Mal, wenn sie sich begegneten, hatte Paul Hjelms Blick etwas Gejagtes angenommen. Und als der eindeutig smarteste interne Ermittler des Landes (möglicherweise war Hjelm selbst sein einziger Konkurrent) hatte er kein Problem gehabt zu erkennen, dass etwas los war. Etwas, was weit über das Übliche hinausging.
Es konnte sich natürlich, er hatte gerüchteweise davon gehört, um Hjelms Tochter handeln. Sie sollte nicht nur stark anorektisch, sondern obendrein kürzlich nur um Haaresbreite einem Serienmörder entkommen sein.
Das war möglich, vielleicht war Hjelm deswegen so abwesend, war sein Blick deswegen wie der eines Gejagten.
Aber Niklas Grundström glaubte das nicht.
Er erkannte, dass es um Professionelles ging. Es ging nicht nur um privaten Kummer. Es war mehr als das.
Grundström überlegte, ob er anfangen sollte, der Sache nachzugehen.
Während er diese Überlegung anstellte, klopfte es an die Tür seines ziemlich großartigen Zimmers.
»Herein!«, rief er.
Der Säpo-Chef trat ein.
Er sagte nichts. Blieb nur unmittelbar vor der Tür stehen.
So war das mit Blicken. Dieses Erkennen von Blicken. Das Verstehen von Blicken.
Und der Blick des Säpo-Chefs traf ihn direkt in den Solarplexus. Er spürte, wie er sich
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