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Bußestunde

Bußestunde

Titel: Bußestunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arne Dahl
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und weg waren sie.
    Schweigen breitete sich in der Kampfleitzentrale aus. Ein tiefes Schweigen.
    Bis Kerstin Holm den Kopf in den Nacken legte, einen Moment lang an die sinnlose Decke starrte und dann wieder ihre Kollegen ansah.
    Ihr Blick war fest, als sie sagte: »Er hätte gewollt, dass wir Tiina Spinroth fassen. Das wäre in dieser Lage sein größter Wunsch gewesen. Wir müssen unsere Trauer aufschieben. Oder sie zu einer Kraft machen, die uns antreibt. Aber sie darf uns keine Sekunde aufhalten. Also los jetzt! Wir müssen einen Serienmörder fassen.«
    Die Gruppe löste sich auf. Kerstin Holm betrachtete ihre Leute, wie sie mit gesenkten Köpfen davongingen. Und sie sah, wie Bande zwischen ihnen zerrissen.
    Wie sich die A-Gruppe vor ihren Augen gleichsam auflöste.
    Sie wartete, bis alle gegangen waren, und dann noch eine Minute. Falls einer von ihnen es sich anders überlegte und zurückkam.
    Dann legte sie langsam die Stirn auf das Katheder auf dem Podium der Kampfleitzentrale.
    Und weinte.

32
    Es lag ein Deckel über der Stadt.
    Er lag über der ganzen Stadt. Sie befanden sich an unterschiedlichen Stellen und spürten es, alle. Es war unverkennbar.
    Ein Deckel.
    Ein harter, schwerer Deckel, der sich immer tiefer herabsenkte.
    Arto Söderstedt setzte sich an seinen Computer und hatte ein Gefühl, als sei die Luft dick und zäh geworden. Jeder Atemzug erforderte eine bewusste Anstrengung. Als würde der Tod eines uns Nahestehenden uns für eine Weile selbst dem Tod immer näher zutreiben.
    Gunnar Nyberg spürte es auch, aber er versuchte, sich nicht zu Boden drücken zu lassen. Er hatte nicht viel übrig für Trauer. Es fiel ihm schwer zu trauern. Er kämpfte dagegen an. Nicht, dass er sich verschlösse, aber er weigerte sich, den Tod wichtiger werden zu lassen als das Leben.
    Lena Lindberg und Jon Anderson spürten es, getrennt durch eine papierdünne Wand. Sie waren allein in ihren Zimmern, und das Fehlen ihres jeweiligen Partners ließ sie den Deckel umso deutlicher spüren. Sie hatten selbst keine persönliche Beziehung zu Paul Hjelm gehabt, und eigentlich erkannten sie erst jetzt, da sie auf je ihrer Seite der Wand saßen und das Gleiche dachten – jede Distanz zwischen ihnen war aufgehoben –, wie eng Paul Hjelm mit dem Blutkreislauf der A-Gruppe verbunden gewesen war.
    Sara Svenhagen spürte es. Aber sie spürte es gewissermaßen auf dem Umweg über ihren Mann. Sie war mit ihm in ein leeres Vernehmungszimmer gegangen, damit er dort den Schlag verarbeiten konnte. Jetzt saßen die beiden dort auf je einer Seite eines Vernehmungstisches und vermieden es, sich anzusehen. Sara fühlte, dass die Zeit noch nicht reif war, dass Jorges Blick noch eine Weile im Äther umherirren und sich immer wieder an dem schweren, drückenden Deckel stoßen musste. Schließlich hörte sein Blick auf zu irren. Er kehrte zu ihr zurück, und die Weite des Schmerzes, der ihr in seinen Augen begegnete, bewies ihr ein für alle Mal, dass sie in den Armen dieses Mannes selbst einmal sterben wollte. Sie wollte mit ihm zusammen alt werden.
    »Nein«, sagte Jorge leise. »Nicht Paul.«
    Dann beugte er sich über den Tisch und drückte sie an sich. Fest und lange. Und sie erwiderte die Umarmung.
    Sogar Viggo Norlander, der draußen im Garten des Söder-Krankenhauses saß und auf den Tod wartete, fühlte, wie der Himmel sich verdunkelte. Es war, als zögen sich die zerstreuten Sommerwolkenfetzen plötzlich zusammen und vereinten sich, und ihr baumwollleichtes Weiß sog gleichsam das Blau des Himmels in sich auf und verwandelte es in ein schweres Grau. Es war, als hätte der Himmel den Beschluss gefasst, dass es an der Zeit war, die Jahreszeit zu wechseln. Norlander schaute nach oben. Ihm war, als habe sich ein Deckel über seinem Kopf gebildet. Er spürte, dass es eine Todesbotschaft war, und war überzeugt davon, dass sie ihm selbst galt. Da oben schwebte sein Grabstein. Er wandte dem großen Deckel das Gesicht zu und zeigte ihm den Mittelfinger, ordentlich und nachdrücklich. Er schüttelte den Kopf, nahm das weiche Amulett aus der Tasche – eine wollige kleine orangefarbene Zottel – und streichelte langsam die flauschige, haarige Oberfläche. Merkwürdig, dass diese Berührung tatsächlich seine Todesangst in Schach zu halten vermochte.
    Da kam eine SMS. Er steckte das Amulett wieder in die Tasche und nahm sein Handy aus der anderen. Er betrachtete die Nachricht. Sein Kopf sank nach vorn. So blieb er eine Zeit lang sitzen. Dann

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