Bußestunde
ein grauer Angestellter bei Ericsson, ohne soziale Kompetenz und ohne irgendwelche sozialen Kontakte. Sein Leben erschöpft sich darin, im Internet zu surfen, wahrscheinlich eine Dosis Porno inklusive. Dort stößt er auf den Film, der den Gedanken an Rache in ihm auslöst. Rache teils ganz allgemein an schlanken Mädchen, teils an einer ganz speziellen Gruppe, nämlich der, die ihn damals dazu trieb, das zu tun, was auch immer es nun gewesen sein mag. Er fängt damit an, schlanke Mädchen ganz allgemein an sich zu ziehen, Anorektikerinnen – an ihnen übt er. Er lernt. Sein Debüt gibt er oben in Norrland, wo er einen Fall gefunden hat, der seinem eigenen sehr ähnlich ist. Sein erstes Opfer wird Andrea Ottosson in Östersund.«
»Aber wo soll die Folter stattgefunden haben? Er hatte damals doch keine Wohnung oben in Norrland.«
»Anderseits gibt es da bedeutend mehr leer stehende Häuser als in Stockholm. Er kommt jedenfalls auf den Geschmack und beschließt, in größerem Stil weiterzumachen. Er mietet eine ›Arbeitswohnung‹ in der Jungfrugatan von einem Auslandsschweden mit Namen Rainer Kruse, den er schließlich auf Guernsey tötet, um alle Zeugen zu beseitigen. Er startet die Homepage thinspiration.se, lanciert die Phantasiedroge Anamagica und zieht damit einen Strom von Anorektikerinnen an, die außerdem alle zwanzigtausend Kronen in bar mitbringen. Er schafft sich einen Handlanger in dem Haus, den Pornosüchtigen Johannes Åkerblom, der dafür sorgt, dass die Opfer auch bei ihm landen – nachdem Spinroth selbst sie mithilfe der Überwachungskamera, die sie eigenmächtig an der Hausfassade angebracht hat, kontrolliert hat. Die Kamera erfüllt jedoch einen doppelten Zweck: Sie filmt auch die Folter aus der gleichen Perspektive, aus der einst seine eigene Erniedrigung gefilmt wurde. Die Rache wird aus der gleichen Perspektive dokumentiert.«
»Es müsste also ein Video vom eigentlichen Geschehen existieren«, stieß Anderson aus. »Ein altes Video von 1994, 1995.«
»Das glaube ich beinahe«, sagte Jorge. »Und ich glaube außerdem, dass eine der Frauen dieses Video hat.«
»Mach weiter«, sagte Jon.
»Auf seiner Homepage melden sich Interessenten. Er reagiert nur auf Antworten, die seriös wirken, nicht Linda Pilsk und Lasse Luus, wohl aber die vom Leben gebeutelte Åsa Karlsson, mit der die Tätigkeit in der Jungfrugatan sozusagen eingeweiht wird. Bevor Åsa schließlich stirbt, hat Tiina bereits eine neue Frau in die Wohnung geholt, Louise Strömberg aus Verveln in Östergötland. Wahrscheinlich werden sie abwechselnd gefoltert, bis Åsas Körper schließlich gegen Mittsommer aufgibt und sie im Lilljansskog abgelegt wird, eventuell, um den Verdacht auf Åsas grauenvollen Lebensgefährten Johnny Stensson zu lenken. Sie wird durch eine andere ersetzt, die ihr Interesse an Anamagica zu erkennen gegeben hat, nämlich Armanda Carneiro, alias Marisa Santos, die auf plastikchirurgischem Weg zu einer Kopie der Hürdenläuferin Gail Devers gemacht worden ist und sich vermutlich auf der Flucht vor einem vor allem in Brasilien und Südeuropa aktiven Prostitutionssyndikat befindet. Bald stirbt auch Louise Strömberg und wird an einem unbekannten Ort abgelegt. Und jetzt ist es Zeit, jetzt wird die Rache zielgerichtet und persönlich. Jocke schickt eine Werbemail über Anamagica direkt an Lisa Jakobsson, die anorektischste der vier Frauen, die ihn während seiner Zeit im Gymnasium sexuell gedemütigt haben. Sie beißt an. Das Problem ist, dass Jockes Überwachungsstelle, der Videoladen auf der gegenüberliegenden Straßenseite in der Jungfrugatan, überfallen wird, während nicht nur Lisa Jakobsson, sondern auch Johannes Åkerblom, sein Laufjunge, sich dort befinden. Aber es ist dennoch möglich, dass er die Wohnung nicht verlassen hätte, wenn ihm nicht Armanda Carneiro etwa zur gleichen Zeit eröffnet hätte, dass sie einen Spürsender in sich trägt. Lisa und Johannes tauchen auf, wobei sie von einer Rentnerin namens Eva-Lisa Reymersson gesehen werden – wahrscheinlich ist Johannes nie in der Wohnung gewesen, er liefert die Frauen nur an Tiina Spinroths Tür ab. Plötzlich erkennt auf jeden Fall Jocke Bergsten, dass nicht nur ein großes internationales Verbrechersyndikat hinter ihm her ist, sondern auch die Polizei. Er packt seine noch lebenden Opfer, Armanda und Lisa, ein und verduftet. Genau da taucht auch Tova Hjelm auf. Als einen Gruß an die Polizei schickt er sie in die Wohnung hoch –
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