Bußestunde
möglicherweise weiß er sogar, dass Paul Polizeibeamter ist. Polizeibeamter war …«
Chavez verstummte.
Anderson betrachtete ihn. Er spürte, dass er jetzt etwas sagen musste. »Wenn Tiina Spinroth nun Joakim Bergsten ist, ist er dann wie gewöhnlich tagsüber auf der Arbeit?«
»Das würde ich meinen«, sagte Jorge und starrte aus dem Fenster auf den sich verdunkelnden Himmel zwischen den Betonblocks des Präsidiums.
»Und jetzt hat er seine Aktivitäten zu sich nach Hause verlegt?«, fragte Jon. »In die Wohnung am Midsommarkransen? Jetzt, wo Armanda Carneiro tot und durch Hanna Hörnblom ersetzt worden ist?«
»Alles deutet darauf hin«, sagte Jorge kraftlos und starrte weiter aus dem Fenster.
»Wirklich alles« , sagte Jon bedeutend lauter. »Denn jetzt, endlich, ist die IP-Adresse geknackt.«
Jorge wandte ihm den Blick zu. Jon beobachtete mit Genugtuung, wie seine Augen sich wieder mit Leben füllten. Es stieg gleichsam an die Oberfläche eines trockengelegten Teichs – zuerst langsam und stückweise, dann plätschernd und am Ende mit einer wahren Flutwelle.
»Geknackt?«, fragte der Wiederbelebte.
»In der Tat«, sagte der Stolze. »Der Grund dafür, dass es so lange gedauert hat, war der, dass der Internet-Provider Schwierigkeiten hatte, die IP-Nummer zu identifizieren. Sie war nämlich auf raffinierte Art mehrfach über Kreuz geschaltet. Jetzt haben sie es geschafft, dank eines Datengenies mit Namen Tommy H. Die Adresse ist Bäckvägen 95 am Midsommarkransen. Da wohnt Joakim Bergsten. Du warst gegen Mittag selbst vor seiner Haustür.«
»Aber warum hast du nichts gesagt, verflixt noch mal?«
»Weil ich gerade erst von dem Provider die Antwort erhalten habe. Dieser Tommy H. hat Überstunden gemacht. Auf Anordnung von jemandem …«
»Ruf sofort Kerstin an«, sagte Jorge.
Jon Anderson nahm sein Handy vom Tisch auf. Es klingelte und fiel ihm beinahe aus der Hand. Er meldete sich: »Jon.«
»Kerstin«, sagte Kerstin Holm. »Wir gehen jetzt rein, trotz allem.«
»Gute Idee«, sagte Jon Anderson. »Die IP-Adresse führt zu Joakim Bergstens Wohnung. Es ist ganz klar, dass die Homepage thinspiration.se im Mai von dort aus eingerichtet wurde.«
»Ja«, stieß Kerstin aus. »Danke. Endlich ein paar Beweise. Hier haben wir weiter nur Indizien. Aber die Verhöre von Sara und Lena haben uns hinreichend Anlass für eine Hausdurchsuchung gegeben. Der Staatsanwalt hat grünes Licht gegeben.«
»Und wieso?«
»Sie zwangen Joakim Bergsten vor Publikum zu Sex mit einer Prostituierten, woraufhin er später versuchte, sich umzubringen.«
»Ist er noch bei Ericsson?«
»Den Beschattern zufolge ja. Aber das Licht in seinem Büro ist gerade ausgeschaltet worden. Er ist auf dem Weg nach Hause.«
»Worauf wartet ihr dann noch?«, fragte Jon Anderson.
»Auf euch«, sagte Kerstin Holm. »Wir sind schon in der Garage.«
33
Du nimmst zwei Treppenstufen auf einmal, genau wie immer. Dennoch ist es nicht das gleiche Gefühl wie sonst. Nichts ist so wie sonst. Du spürst es in der Luft.
Du stehst vor der Wohnungstür. Sie sieht aus wie immer.
Was alles hinter verschlossenen Wohnungstüren vor sich geht, denkst du. Was alles passiert.
Du schließt die Tür auf. Schloss nach Schloss. Du trittst ein.
Vor dem Fenster erhebt sich der Turm. Er wird von einem langweiligen, unerträglich bunten Licht erleuchtet.
Du siehst dich im Wohnzimmer um.
Nein, es ist nicht wie sonst.
Es ist sehr, sehr gründlich geputzt.
Und es ist noch viel zu tun.
*
Sie fahren in einem einzigen Auto, in Arto Söderstedts altem Minibus der Marke Toyota Picnic. Gunnar Nyberg sitzt am Steuer. Er will, dass es schnell geht. So schnell wie möglich.
Und er fährt sehr schnell. Dennoch kommentiert es keiner. Sie haben es auch eilig.
Sehr eilig.
Für einen kurzen Augenblick denkt Kerstin Holm auf dem Beifahrersitz daran, dass ein ganz reales Unfallrisiko besteht. Es berührt sie nicht sonderlich, nicht persönlich, aber sie denkt, dass die Reichspolizeiführung wahrscheinlich einen Stoßseufzer der Erleichterung von sich geben würde, wenn es geschähe.
Die gesamte A-Gruppe ausgelöscht.
Kann man sich eine kostenwirksamere Sparmaßnahme vorstellen?
Dann dreht sie sich um und betrachtet die Gruppe. Vielleicht ist es ihr letzter großer gemeinsamer Einsatz. Vielleicht der allerletzte.
Der Einzige, der fehlt, ist Paul Hjelm.
Aber dafür fehlt er umso mehr.
Sie verlassen die E 4 am Västberga-Kreuz, gleiten in den Kreisverkehr, schwenken
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