Bußestunde
hart nach rechts und sind am Midsommarkransen. Der Teleturm auf dem Ericsson-Gelände – der zur Hälfte von der Kunstfachhochschule übernommen worden ist – leuchtet. Die Fenster des Turms strahlen in bunten Farben. Es sieht seltsam aus.
Sie fahren den LM Ericssons Vägen entlang, biegen in den Kransbindarvägen ein, dann nach links in den Pingstvägen und sind schließlich im Bäckvägen. Sie rasen an den Häusern entlang und halten vor der Nummer 95.
Da steht der Wagen mit den Beschattern, auffallend gut erkennbar. Und ein Stück weit entfernt steht ein Van, ein grauer Kastenwagen ohne Nummernschilder. Arto Söderstedt sieht ihn und denkt: Wir hatten tatsächlich recht.
Diesmal hatten wir recht.
Sie gehen zum Wagen der Beschatter. Kerstin Holm beugt sich vor und fragt durchs Fenster: »Er ist also nach Hause gekommen?«
»Vor ein paar Minuten erst.« Der Fahrer nickt.
»Bleibt hier sitzen, und haltet die Augen offen. Wir gehen rein.«
Dann gehen sie rein. Sie gehen alle zusammen. Kerstin Holm, Gunnar Nyberg, Arto Söderstedt, Sara Svenhagen, Lena Lindberg, Jorge Chavez und Jon Anderson steigen die Treppe hinauf und sammeln sich vor der Tür mit dem Namen »Bergsten«.
Gunnar Nyberg zeigt fragend auf die Tür.
Kerstin Holm schüttelt den Kopf. Diesmal kein zertrümmertes Holz. Jedenfalls noch nicht.
Sie klingelt.
Sie klingelt einfach.
Sie ziehen ihre Waffen und warten. Warten lange. Schließlich hören sie Schritte im Inneren. Das Guckloch in der Tür verdunkelt sich. Joakim Bergsten guckt hindurch. Er sieht sie.
Er sieht sie alle. Mit gezogenen Waffen.
Und er öffnet die Tür.
Sie gehen hinein. Die Wohnung ist karg und fast unmöbliert. Vor dem Fenster leuchtet der Teleturm ganz in Rot.
Jedes Fenster im Turm ist rot.
Die Wohnung ist in Rot gebadet. Alles ist rot, jeder Winkel. Und die Wohnung ist unerhört sauber geputzt.
Lena Lindberg steht Joakim Bergsten draußen im Flur gegenüber. Sie richtet ihre Waffe auf ihn. Er streckt langsam die Hände in die Höhe. Ein kleines Lächeln zittert in seinem linken Mundwinkel.
Und er sieht so ängstlich aus.
Er sieht so unberührt aus.
Als wäre er nicht von dieser Welt.
Sie kommen aus den Zimmern, einer nach dem anderen, und schütteln die Köpfe.
Da ist nichts.
34
Die Sonne steht im Zenit. Sie hängt direkt über dem Kopf des Mannes, der sich mit zielbewussten Schritten seinen Weg durch den Wirrwarr des Marktplatzes bahnt. Wollte man die Sonne mit einem Auge vergleichen, wäre sie ein blindes Auge, ein ausgeätztes Auge. Man kann nicht in diese Sonne schauen, ohne geblendet zu werden. Ohne blind zu werden.
Der Mann verlässt den engen Marktplatz. Er bleibt einen Moment stehen und blickt sich um mit seinen schwarzen Augen, die das Einzige sind, was aus dem um seinen Kopf gewickelten Schal hervorschaut. Er sieht die Stadt in der Hitze flimmern. Er weiß, was er sehen würde, wenn er sich draußen in der Wüste befände, in Al-Tash, wo er herstammt. Es ist so lange her. Dennoch erinnert er sich an die Luftspiegelungen. Sie handelten alle von Durst, doch sie waren immer erotisch.
Der Durst erschien wie nackte Frauen …
Er lächelt kurz bei der Erinnerung. Dann geht er weiter, durch die Hitze.
Er erreicht ein Gebäude. Es ist fast ganz verfallen. Er klettert hinein, steigt über die unerträglich stinkenden Abfälle, die sich in der zerschossenen Eingangstür häufen. Er nimmt vier Stufen auf einmal. Früher hat er fünf geschafft. Er wird langsam alt.
Im Treppenhaus steht eine faulig-dumpfe Hitze. Der Gestank wäre unerträglich, wenn er nicht daran gewöhnt wäre. Er macht vor einer Tür halt und klopft an.
Schließlich wird die Tür von einem älteren Mann mit zerfurchtem Gesicht geöffnet. Der ältere Mann breitet die Hände aus und umarmt ihn. Er besteht fast nur aus Muskeln. Er ist nicht groß, aber muskulös.
Als ihre Körper sich voneinander lösen, nickt er dem älteren Mann kurz zu. Der Ältere lächelt ebenso kurz und nickt zurück. Dann wickelt er den Schal um den Kopf.
Das ist nötig, die Sonne schont haarlose Köpfe nicht.
Er folgt ihm. Sie wandern durch die hitzeflimmernde Stadt. Sie kommen zum Marktplatz und drängen sich durch das unbeschreibliche Gewimmel. Niemand würde ahnen, dass vorgestern hier eine Bombe explodierte und dreiundfünfzig Menschen tötete.
Niemand würde es ahnen.
Und sehr wenige wissen es. Sehr wenige im Ausland.
Das ist Alltag.
Sie gelangen zum anderen Ende des Marktplatzes und gehen durch den
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