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Bußestunde

Bußestunde

Titel: Bußestunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arne Dahl
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kleinen Park mit all den Elenden. Es ist schwer zu sagen, wer von ihnen tot ist. Die Grenze ist hier eine große Grauzone zwischen Leben und Tod.
    Dann sind sie am Ziel. Das Gebäude ist dem anderen Haus sehr ähnlich, auch hier türmen sich die Abfälle.
    Es sieht tatsächlich nach dem gleichen Abfallhaufen aus.
    Im Treppenhaus steht die gleiche faulig-dumpfe Hitze. Und auch die Tür, an die der größere Mann klopft, ist der Tür, hinter der sich der alte Mann befand, zum Verwechseln ähnlich. Hinter dieser befindet sich ein weiterer Mann. Ein dritter Mann.
    Der dritte Mann öffnet. Er betrachtet die verhüllten Männer, während sie langsam ihre Schals abwickeln.
    Er nickt dem Größeren kurz zu, und der lächelt und sagt in beinahe akzentfreiem Schwedisch: »Ich nehme an, du ahnst, wen ich bei mir habe.«
    »Das tue ich wohl«, sagt der dritte Mann und nickt dem Älteren zu. »Aber ich weiß nicht, wie ich dich nennen soll.«
    Der ältere Mann schüttelt den Kopf, lächelt und erwidert: »Tore Michaelis ist schon richtig.«
    Der dritte Mann streckt die Hand aus und sagt: »Paul Hjelm.«
    Der ältere Mann nimmt seine Hand, schüttelt sie lange, lacht und sagt dann: »Ich weiß. Wir sind uns schon begegnet.«

35
    Merkwürdigerweise gab es keinerlei Diskussion, sie waren zu dritt, und es war völlig klar, dass sie und kein anderer das Verhör durchführen würden. Doch die anderen arbeiteten kaum weniger intensiv.
    Ihnen am Tisch gegenüber saß ein sanft lächelnder Mann, dessen Kleidung zu einem zwanzig Jahre älteren Bürosklaven gepasst hätte. Ein korrekter, aber langweiliger Anzug, schmaler, einfarbiger Schlips.
    Und dann dieser Gesichtsausdruck. Dieses milde Lächeln, das Schüchternheit, Infantilität und Ironie zugleich sein konnte.
    Und möglicherweise reiner Blutdurst.
    Sie waren Kerstin Holm, Jorge Chavez und Sara Svenhagen, und sie setzten sich ihm gegenüber.
    »Joakim Bergsten«, sagte Kerstin Holm. »Wo haben Sie sie versteckt?«
    »Ich weiß nicht, wovon Sie reden«, entgegnete Joakim Bergsten lächelnd.
    »Natürlich nicht«, sagte Kerstin Holm. »Aber die Namen Hanna Hörnblom, Lisa Jakobsson, Alice Nordin und Matilda Broman sagen Ihnen etwas?«
    »Wir sind zusammen aufs Gymnasium gegangen.«
    »War das eine glückliche Zeit?«
    »Keineswegs.«
    »Sie haben im Frühjahr 1995 versucht, sich das Leben zu nehmen. Stimmt das?«
    »Ja. Das lief nicht so gut.«
    »Warum versuchten Sie, sich umzubringen?«
    »Ich fühlte mich wie ein totaler Versager. Ich kam eben nicht zurecht in dieser Welt. Ich war ein Montagsmodell. Eines von denen, die man einfach an die Fabrik zurückgibt, wo sie zerstört werden.«
    »Und es gab nichts Spezifischeres, was Sie dazu trieb?«
    »Ich wusste natürlich theoretisch, wie man mit Menschen spricht und Kontakt zu ihnen aufnimmt und mit ihnen umgeht. Aber in der Praxis funktionierte es nicht.«
    »Und es gab gewisse Menschen, die dieses Unvermögen ausnutzten, oder?«
    »Ich weiß nicht genau, wie man es definieren soll«, sagte Joakim Bergsten.
    »Hatten Sie jeden Morgen einen Kloß im Hals, wenn Sie in die Schule gehen sollten?«
    »Das hatte ich, wann immer ich aus dem Haus gehen sollte. Und ich kann nicht sagen, dass sich das vollständig gelegt hätte. Aber es ist schön zu hören, dass es auch manchen Frauen so geht.«
    Sara Svenhagen merkte, dass sie lächelte. Sie sollte nicht lächeln. Sie saß einem mutmaßlichen Frauenmörder, einem Serienmörder gegenüber und lächelte. Das war nicht gut.
    Oder vielleicht doch. Joakim Bergsten lächelte auch. »Nicht wahr«, sagte er, »das weiß ich doch. Wir waren ziemlich viele in dieser Klasse, denen es nicht gut ging. Auch Mädchen.«
    »Wahrscheinlich eine ganz durchschnittliche schwedische Gymnasialklasse«, sagte Jorge Chavez. »Ich selbst bin geflogen. Achtzehn Heftzwecken auf dem Stuhl der Französischlehrerin. Sie tanzte einen Regentanz.«
    »Was?«, platzte Sara Svenhagen heraus.
    »Wenn wir schon dabei sind zu beichten«, sagte Jorge Chavez.
    »Aber du hast doch das Gymnasium abgeschlossen?«
    »Im Jahr darauf. Ich wurde begnadigt. Mein Vater hat sie auf Knien angefleht, der Familienmythologie zufolge.«
    »Und ich habe wieder von vorn angefangen – im Gymnasium«, sagte Joakim Bergsten und schien ehrlich interessiert zu sein an dem Gespräch. »Es war meine Mutter selig, die fand, ich sollte den gesellschaftswissenschaftlichen Zweig durchlaufen. Wo ich doch mit ganzer Seele Technologe bin.«
    »Informatiker.«

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