Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bußestunde

Bußestunde

Titel: Bußestunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arne Dahl
Vom Netzwerk:
schaute, sah sie, dass sie bald am Ende angekommen wären. Sie verzog das Gesicht.
    Diesen Gedanken wollte sie nicht denken.
    Sie sah, wie das Industriegebiet langsam in eine unbebaute Fläche überging, und sie wollte den Gedanken nicht denken.
    Dass die Hoffnung bald erloschen sein würde. Dass es für Lisa Jakobsson, Hanna Hörnblom, Matilda Broman und Alice Nordin bald keine Hoffnung mehr geben würde.
    Dass sie bald zu Tode gefoltert sein würden.
    Und da stieg wie ein einsam heulendes Nebelhorn aus dem Schweigen über dem endlosen, nebelverhangenen Meer Joakim Bergstens Stimme auf: »Aber das da kenne ich.«
    Gunnar Nyberg trat viel zu abrupt auf die Bremse.
    Aber es war ihnen egal. Keiner kümmerte sich um die schädlichen Wirkungen der Gurte auf ihre mehr oder weniger gealterten Rippen.
    »Was kennen Sie?«
    »Das Schild da«, sagte Bergsten und zeigte auf ein äußerst diffuses Industriesymbol, das an einer Fassade saß und nach den Achtzigerjahren aussah.
    »In welchem Zusammenhang kennen Sie das Schild?«
    »Ich bin daran vorbeigegangen.«
    Gunnar Nyberg bog sogleich in eine kleine Seitenstraße ein, die ins Innere des Industriegebiets führte. Sie fuhren unter dem Schild vorbei.
    »Geradeaus«, sagte Joakim Bergsten mit starrem Blick. Der Minibus fuhr geradeaus und gelangte zu einem einzeln stehenden Gebäude. Es war eine klassische Industriehalle.
    »Lass uns hier anhalten«, sagte Kerstin Holm und legte die Hand auf Gunnar Nybergs Arm.
    Nyberg bremste, wieder viel zu abrupt, und stellte sofort den Motor ab.
    Sie standen in der nächtlichen Stille.
    »Ist es das?«, fragte Kerstin Holm und zeigte auf die Halle.
    Wieder war es vollkommen still.
    Von einem grauen Lieferwagen war nichts zu sehen.
    »Ich glaube, ja«, sagte Joakim Bergsten und nickte langsam. Sein Blick war vollkommen starr, wie fixiert. Er war gänzlich unerreichbar.
    Sie verließen den Minibus und schlichen in einem eigentümlichen Gänsemarsch über den leeren, verödeten Asphaltplatz, der sich wie eine Wüste bis zu dem abseits gelegenen Industriegebäude erstreckte.
    Sie erreichten das Tor. Es hätte natürlich verschlossen sein müssen. Und es sah verschlossen aus. Ein großes Hängeschloss krönte das massive Rolltor, das bis zum Asphalt hinunterreichte.
    Es sah hoffnungslos aus.
    Bis Arto Söderstedt das Hängeschloss unter die Lupe nahm und feststellte, dass es aufgebrochen war. Mit brachialer Gewalt.
    Er hakte das Schloss aus, nickte langsam und nachdrücklich und begann sehr vorsichtig, das Rolltor hochzuschieben. Es gab nur ein minimales Geräusch, das sich kaum besonders weit in dem großen Gebäude fortpflanzen konnte.
    Er schob das Tor nicht mehr als einen Meter hoch und tauchte als Erster darunter hindurch ins Halleninnere. Er hatte ja schon eine gewisse Übung darin, beschossen zu werden.
    Doch jetzt trug keiner von ihnen eine Schutzweste.
    Sie glitten hinter ihm hinein, einer nach dem anderen. Und gelangten in eine große Halle, offensichtlich eine Druckerei. Große Druckpressen standen dicht beieinander.
    Kerstin Holm wandte sich zu Joakim Bergsten um. Er sah sich einen Moment um, bis sein Blick sich an das beinahe vollkommene Dunkel gewöhnt hatte.
    Dann nickte er und zeigte nach links.
    Sie waren so viele. Jemand hätte eigentlich irgendwo anstoßen, sich mit den Füßen verfangen oder etwas fallen lassen müssen. Jemand hätte ein Geräusch verursachen müssen, das den Tod von vier Frauen bedeutet hätte.
    Aber niemand tat es. Keiner verursachte so ein Geräusch. Keiner machte überhaupt irgendein Geräusch.
    Zumindest nicht, bis sie die Treppe erreichten.
    Bergsten zeigte nach oben. Die Treppe sah wenig stabil aus, sie hatte Metallgitterstufen, die sicher quietschen und knacken würden, wenn man sie betrat.
    »Nur eine Treppe nach oben«, flüsterte Bergsten. »Links führt ein Flur zu einer kleinen Tür. Dahinter ist ein großer Raum.«
    Kerstin Holm nickte. Dann zeigte sie auf Lena Lindberg, deren ganze Gestalt sich zu strecken schien, als Kerstins Zeigefinger sie berührte. Sie tat einen ersten, äußerst vorsichtigen Schritt. Nichts war zu hören. Noch eine Stufe. Immer noch kein Geräusch. Sie blieb stehen.
    Kerstin zeigte weiter, mit hackendem Zeigefinger. Und Lena ging weiter. Kein Laut war zu hören. Sie war oben. Sie hockte sich hin und zog ihre Dienstwaffe. Entsicherte sie lautlos.
    Gunnar Nyberg hatte Bedenken. Er wog etwa doppelt so viel wie Lena. Er machte ein Zeichen, dass er als Letzter gehen würde.

Weitere Kostenlose Bücher