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Bußestunde

Bußestunde

Titel: Bußestunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arne Dahl
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Kerstin verstand es sofort und nickte.
    Das störte ihn ein wenig.
    Nacheinander stiegen sie hinauf. Gunnar sah sie nach oben schleichen. Er sah, wie Bergsten Kerstin etwas zuflüsterte und wie sie auf etwas zeigten. Und wie sie weiterschlichen.
    Er betrat die erste Stufe. Nichts passierte. Er nahm die zweite. Noch immer kein Laut.
    Als er die dritte Stufe erreichte, passierte es. Die ganze Treppe schien ins Schwanken zu geraten. Er spürte die Vibration, noch bevor er das Geräusch hörte. Aber als das Geräusch kam, war es unverkennbar. Es war ein Krachen, ein enormes Blöken, ein eigentümlicher Ton, der im gesamten Gebäude widerzuhallen schien. Er hielt inne und durchlitt ihn. Dann lief er die ganze Treppe bis nach oben.
    Sie waren schon an der Tür, als das Krachen ertönte. Kerstin Holm hatte fast damit gerechnet.
    Bergsten zeigte auf die Tür. Jorge Chavez duckte sich und studierte die Schließvorrichtung. Er richtete sich wieder auf, schnitt eine im Dunkeln nur mit Mühe erkennbare Grimasse und nickte dann. Sehr vorsichtig legte er die Hand auf den Türgriff.
    Kerstin Holm packte ihn am Arm und hielt ihn auf, wandte sich zu Joakim Bergsten um und flüsterte: »Genau hier hinter?«
    Bergsten schien einige Sekunden zu überlegen. Das Weiße seiner Augen leuchtete im Dunkeln. Dann nickte er.
    In diesem Moment kam der Lärm von der Treppe. Er hallte lange nach.
    Kerstin nahm die Hand von Jorges Arm, und er riss die Tür auf. Sie war nicht verschlossen.
    Mit den Waffen im Anschlag stürmten sie hinein.
    Und hielten abrupt inne.
    Der Raum war ganz offen, ein Speicherraum ohne jede Unterteilung. Aber mit sehr viel Staub, der aufwirbelte und ihnen die Sicht nahm auf den Anblick, der dennoch dazu geeignet war, sie alle aufzuhalten.
    Sie erstarren zu lassen.
    Sie blieben stehen.
    Die Mitte des dunklen Raums wurde von ein paar scheinwerferähnlichen Lampen an den Seiten beleuchtet.
    Vier Frauen lagen nackt in einem Kreis auf dem Boden. Sie waren mit Lederriemen an Händen und Füßen gefesselt und schienen mehr tot als lebendig zu sein. Dem Anschein nach waren sie sämtlich bewusstlos, zwei von ihnen außerdem blutig. In der Mitte des Kreises saß eine Gestalt, die sich auffallend von den vier Frauen unterschied. Sie war entschieden größer, trug starke Farben in rosa Tönen, einen wunderlichen kurzen rosa Tüllrock und üppige gelbe Locken. Die übertriebene Schminke war ebenso farbenfroh wie schlecht aufgetragen.
    Wie eine Maske.
    In ihrer linken Hand hielt sie einen Eispickel, in der rechten eine Pistole.
    Die Spitze des Eispickels ruhte auf dem Kopf der nächstliegenden Frau, und die Pistole war auf die Frau daneben gerichtet.
    »Danke«, sagte die bunte Frau mit dumpfer Stimme.
    »Danke wofür?«, sagte Kerstin Holm mit wesentlich heiserer Stimme.
    »Als Erstes dafür, dass Sie Ihre Waffen auf den Boden legen.«
    »Sie wissen doch, dass wir das nicht tun können, Ulla«, sagte Kerstin. »Dagegen werden wir nicht schießen, wenn Sie ihnen nichts tun. Wir wollen nichts riskieren.«
    »Meinetwegen«, sagte Tiina Spinroth. »Ich töte sie auf der Stelle, wenn Sie etwas versuchen.«
    »Wir sind vorsichtige Menschen«, erwiderte Kerstin Holm. »Und das Zweite?«
    »Das Zweite und Wichtigste«, sagte Tiina Spinroth. »Danke, dass Sie Jocke hergebracht haben. Er war schwer zu fassen. Jemand hatte ihn in Untersuchungshaft genommen.«
    Kerstin Holm blickte sich um. Sie sah, dass alle anwesenden A-Gruppen-Mitglieder bereit waren zu schießen. Die geballte Energie war physisch spürbar. Sie materialisierte sich in der Luft.
    »Sie wissen auch, dass wir Joakim nicht zu Ihnen lassen. So funktioniert das nicht«, sagte sie.
    Irgendwo hinter Tiina Spinroths Maske schien Ulla Johansson hervorzuschauen, mit einem Lächeln, das ganz anders aussah.
    »Ich schlage vor, wir fragen einfach Jocke«, sagte sie. »Du erinnerst dich doch bestimmt an das hier, Jocke?«
    Joakim Bergsten nickte vage. Er trat einen Schritt vor und nickte deutlicher. Kerstin Holm legte die Hand auf seinen Arm. Er blieb stehen, aber wohl nur vorläufig, sie spürte es.
    Ulla Johansson fuhr fort: »Wir standen uns nicht besonders nahe, Jocke. Wir hatten vollauf mit uns selbst zu tun. Mit dem Versuch zu überleben. Ich war das große, hässliche Mädchen, das durch seine bloße Existenz allem hohnsprach, was diese Bräute hier als Weiblichkeit definiert hatten. Aber manchmal kam es vor, dass unsere Blicke sich in stillschweigendem Einverständnis begegneten.

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