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Bußestunde

Bußestunde

Titel: Bußestunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arne Dahl
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Preludium füllten den Raum, vor der musikalischen Explosion, die alles verändern würde.
    In der Akte fanden sich im Übrigen ziemlich viele Zeitungsausschnitte, Diskussionsbeiträge, Artikel und Essays über brennende weltpolitische Fragen seit den Achtzigerjahren. Es waren viele Publikationen aus den größten Tageszeitungen bis hin zu kleinen Schriften der Sida und des Außenpolitischen Instituts sowie allerlei Fachzeitschriften. Und die Autoren waren alle Akteure auf der außenpolitischen Bühne – Botschafter, Generaldirektoren, Diplomaten, Kulturattachés, Staatssekretäre, sogar einige Minister waren darunter. Anfangs wirkte die Auswahl der Artikel diffus, aber dann stellte sich etwas ein, das sich nicht anders als ein Ton, ein Tonfall, eine deutlich insistierende Stimme beschreiben ließ. Eine Stimme. Und nach einer Weile begriff Paul Hjelm, wer der wirkliche Autor war. Oder eher der Ghostwriter. Der Mann, der vermutlich mehr über außenpolitische Komplikationen wusste als irgendjemand sonst in Schweden, war von Zeit zu Zeit als Ghostwriter gebeten worden, wenn wichtige internationale Fragen beleuchtet und diskutiert werden mussten. Der Mann, der das Alphabet der Sicherheitspolitik auswendig konnte.
    Je mehr Hjelm las, desto besser glaubte er Tore Michaelis zu verstehen. Und es machte ihn fast schon froh, dass sein erster Eindruck richtig gewesen war. Dies war ein Mann, der sich von der brutalen Welt der Macht- und Realpolitik nicht hatte verschlingen lassen. Er hatte das Spiel gelernt, von außen und von innen, vermutlich auf dem härtesten aller Wege, aber das Spiel hatte ihn nicht zynisch gemacht. Sein Blick war vollkommen ungetrübt – er sah alles genau als das, was es war, ohne Idealisierungen und ohne Zynismus. Die Welt war Tore Michaelis zufolge ein ziemlich teuflischer Ort, wo der Stärkere immer gewann. Eine echte Entwicklung hatte es nicht gegeben. Das Einzige, was in der Geschichte der Menschheit an dieser Tatsache jemals hatte rütteln können, war die Idee der Demokratie. Zwar war nichts von dem, was in der Weltgeschichte bisher Demokratie genannt wurde, wirkliche Demokratie – denn wer wollte schon die reine Pöbelherrschaft? –, aber der größte menschliche Fortschritt in der Geschichte des Planeten Tellus war das, was Michaelis – unter verschiedenen Pseudonymen – den »demokratischen Instinkt« nannte. Sich das Prinzip der Gleichwertigkeit aller Menschen wirklich zu Herzen zu nehmen, es wirklich ernst zu nehmen. Der Gedanke existierte in der Menschenwelt seit dem 18. Jahrhundert, aber Wurzeln geschlagen hatte er eigentlich nie. In bestimmten Kulturen etwas mehr als in anderen, unter bestimmten Verhältnissen mehr als unter anderen.Dabei lag in ihm, Tore Michaelis zufolge, die einzige Rettung der Menschheit.
    In dem Augenblick, als Paul Hjelm diese Entdeckung machte, beschloss er, dass er ihn auf jeden Fall finden würde.
    Er versuchte, das humanistische Credo der Publikationen mit dem zusammenzubringen, was Tore Michaelis vor gut einem Jahr zu ihm persönlich gesagt hatte. Er wollte sich an den Wortlaut erinnern, doch er entglitt ihm immer wieder, aber schließlich hatte er ihn.
    »Aus unserer Sicht habt ihr es überhaupt nicht mit Verbrechern zu tun, weil es immer noch moralische Grauzonen und Fragestellungen geben kann. Wir arbeiten in einem Stadium jenseits davon – wo der Ausgangspunkt das Böse ist, nicht als metaphysische Kraft, sondern als praktische Realität.«
    Ja, das hatte er im vorigen Jahr gesagt. Und Hjelm erinnerte sich an noch mehr: »Diese Welt gibt es. Wir versuchen, ihr, so gut es geht, zu begegnen, aber wir – die sogenannten Guten – schleppen so viel anderes mit uns herum. Das, was man Leben nennt. Deshalb sind wir immer im Nachteil gegenüber dem Extremismus, in welcher Form er auch auftritt.«
    Und alles passte zusammen. Tore Michaelis war der pflichtbewusste sozialdemokratische Beamte, der ein Vierteljahrhundert lang in die Hölle geschickt worden war und versucht hatte, das Böse zu verjagen. Natürlich nicht mit radikalen Mitteln – im Grunde war er ja trotz allem ein humanistischer sozialdemokratischer Pragmatiker –, aber doch ausgehend von Realitäten, die man nicht infrage stellen konnte. Er war in der Welt umhergereist und hatte sich mit dem Bösen in all seinen Formen vertraut gemacht, und zweifellos war es seine Aufgabe gewesen, dafür zu sorgen, dass so wenig wie möglich davon nach Schweden gelangte.
    In einem der Artikel, der scheinbar

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