Bußestunde
hält, dass es wie eine Pistole aussieht.«
»Und warum soll die A-Gruppe sich mit Beschaffungskriminalität befassen?«, fragte Jorge Chavez aufrichtig, und in diesem Moment hatte es den Anschein, als dächten alle in der Kampfleitzentrale ebenso. Mit der Miene der Ertappten sahen sie sich an, als hätte Chavez ihren verbotenen inneren Monolog aufgedeckt.
Lena Lindberg nickte langsam, ganz ohne die Verteidigungshaltung, die zu erwarten gewesen war. »Ihr habt mir den Begriff erst beigebracht«, sagte sie. »Ihr seid selber schuld.«
»Welchen Begriff?«
»Witterung«, sagte Lena Lindberg und feuerte einen glasklaren eisblauen Blick in Chavez’ Augen.
Er blinzelte verblüfft.
»Ich will, dass Lena weitermacht«, bestimmte Kerstin Holm von dem eigentümlichen Katheder herab, das den gut eingesessenen Herrscherthron der A-Gruppe darstellte. »Aber nur, wenn sich schnell zeigt, dass die Witterung sich als richtig herausstellt.«
»Ich weiß nicht genau, woher sie kommt«, gab Lena Lindberg zu. »Es kann das Opfer sein – sie heißt übrigens Suzanne Ehrenkrona –, aber es kann ebenso gut der Ladeninhaber sein – der Aramäer Naoum Chamoun – oder einer der Zeugen, Johannes Åkerblom oder Lisa Jakobsson. Oder etwas ganz anderes. Ich will es genauer untersuchen.«
»Aramäer?«, platzte Gunnar Nyberg heraus.
»Ehrenkrona?«, platzte Arto Söderstedt heraus.
»Echt nervig, wenn Leute mit Sachen herausplatzen«, platzte Jorge Chavez heraus.
»Hat er tatsächlich gesagt, er sei Aramäer?«, fragte Gunnar Nyberg. »So bezeichnen sich nicht viele heutzutage. Ich kann euch unheimlich spannende Sachen über die aramäische Sprache erzählen, wenn ihr wollt; außerdem war es die Muttersprache von Jesus.«
»Wir kennen deine neu entdeckte Vorliebe für seltsame Sprachen«, sagte Kerstin Holm. »Aber fass dich sehr viel kürzer, als du eigentlich möchtest.«
»Wir haben es hier mit einem uralten Volk zu tun«, sagte Nyberg mit jener Art von Energie, die nur er aufzubringen vermochte. »Das Aramäische ist eine der ältesten noch heute gesprochenen Sprachen in der Welt. Sie ist seit dreitausend Jahren ununterbrochen in Gebrauch. Ihr Alphabet ist ziemlich einfach, aber die Sprache ist inzwischen in eine Menge verschiedener Dialekte und Neubildungen aufgespalten. Das hängt damit zusammen, dass die Aramäer, die manchmal auch Syrer oder Syrianer genannt werden, seit dem 5. Jahrhundert ohne eigenes Land sind.«
Nein, dachten sämtliche Anwesenden. Nein, der Mann ist nicht gesund. Irgendetwas ist mit ihm passiert.
Nyberg sah ihre Reaktionen und zuckte mit den Schultern. »Andere sammeln Briefmarken, ich sammle Sprachen.«
»Du und Ludmila, ihr seid ein sehr eigentümliches Paar«, sagte Arto Söderstedt anerkennend.
»Und wir sind stolz darauf«, entgegnete Gunnar Nyberg und schwieg dann.
»Was ist an ›Ehrenkrona‹ komisch?«, fragte Kerstin Holm und fühlte einen Anflug von Müdigkeit.
»Glaubt jetzt nicht, ich sammelte Adelsgeschlechter oder etwas ähnlich Wahnwitziges«, sagte Arto Söderstedt. »Ich habe nur echten Adel erkannt, genauer gesagt Nummer zweihundertzehn im Riddarhuset.«
»Nein«, sagte Jorge Chavez hart und schlug mit der Faust auf den Stuhlrücken vor sich. »Wir sind wirklich zu verschroben. Wir müssen damit aufhören. Wir sind verdammt noch mal Polizisten. Mir fehlen anständige Verfolgungsjagden und ordentliche Machovorurteile.«
»Ist das dein Ernst?«, fragte seine Ehefrau Sara Svenhagen und strich sich mit der Hand über den Bauch mit seinem sechs Monate alten Inhalt noch unbekannten Geschlechts.
Ihr Gatte hob die Hände und räumte ein: »Okay. Nein. Das ist nicht mein Ernst.«
»Ich gehe davon aus, dass die Bemerkung trotz allem nicht ganz aus der Luft gegriffen ist«, sagte Kerstin Holm und fixierte Arto Söderstedt mit einem strengen Blick.
Arto saß da wie jemand, der bei einer saftigen sexuellen Ausschweifung ertappt worden ist, und versuchte, seine Fassung zurückzugewinnen. »Östermalm ist heutzutage das Territorium der Neureichen«, sagte er. »Alter Adel wird immer seltener. Das ist alles.«
»Danke für diese wertvollen Informationen«, sagte Kerstin Holm. »Sara assistiert Lena bei den Vernehmungen. Ich selbst habe genug von euch allen.«
4
Tore Michaelis war nicht adlig, wie Paul Hjelm wegen des ungewöhnlichen Familiennamens einen Augenblick lang gedacht hatte. Auch lag keine Verwandtschaft mit einem bekannten dänischen Literaturkritiker vor. Nein, der Name
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