Bußestunde
höher tot in seiner Wohnung«, sagte Sara gedämpft.
Lena blickte sie verwundert an. Dennoch schien ihr Gesicht sich nicht zu verändern. Es hatte einfach keinen Ausdruck für noch mehr Verwunderung.
»Ich glaube, wir sind an einen echten Serienmörder geraten«, sagte Arto Söderstedt. »Einen von der richtig altmodischen, durch und durch kranken Sorte. Verfluchter Mist, das hat mir gerade jetzt noch gefehlt.«
»Wann hätte es dir denn besser gepasst?«, fragte Gunnar Nyberg.
Da hörten sie tastende Schritte im Treppenhaus. Lena und Gunnar hoben die Waffen, die sie noch in der Hand hielten, und blieben im Flur stehen. Die Wohnungstür wurde einen Spalt weit geöffnet.
Und ein dünnes, sehr dünnes Mädchen um die zwanzig schaute herein.
Sie blickte in zwei Pistolenmündungen.
»Anamagica?«, fragte die junge Frau sehr leise.
Sie schien gar nicht wahrzunehmen, dass zwei Pistolenläufe auf sie gerichtet waren. Als hätte sie dafür nicht mehr genügend Energie in ihrem ausgemergelten Körper.
Arto Söderstedt erkannte sie. Er trat stolpernd auf sie zu, legte die Hand auf ihren kaum vorhandenen Oberarm und sagte: »Aber ich kenne dich doch. Heißt du nicht Tova?«
Das dürre Mädchen nickte langsam. Dann sagte sie: »Ja, ich heiße Tova Hjelm. Verkaufen Sie hier Anamagica?«
»Erkennst du mich nicht?«, fragte Söderstedt. »Erkennst du uns nicht? Wir haben mit deinem Vater Paul zusammengearbeitet, als du kleiner warst.«
Ihr Blick wanderte zwischen den vier Polizeibeamten hin und her, ohne dass der geringste Funke darin aufschien. Dann sagte sie: »Ich soll von Tiina grüßen.«
In dem Moment heulten in ganz Östermalm die Polizeisirenen auf.
10
Es war bedeutend weiter nach Tierp, als Paul Hjelm gedacht hatte. Er hatte schon ein gutes Stück auf der E 4 nach Norden hinter sich, als das GPS in seinem neuen Dienstwagen ihm die Entfernung von hundertfünfzig Kilometern anzeigte. Er zuckte zusammen und klopfte aggressiv auf den kleinen Bildschirm, als könnte es sich um einen einfachen mechanischen Defekt handeln. Der Computer blieb unbeirrt bei seinen hundertfünfzig Kilometern, und Paul Hjelm musste das hinnehmen.
Als er durch die verkehrsmäßig komplizierte Stadt Uppsala fuhr, hörte er schon zum zweiten Mal Tuesday Wonderland . Er liebte die CD wirklich. Ohne Zweifel hatte E. S. T. eine neue Phase in seiner Entwicklung erreicht. Als die vollkommen einzigartigen Klänge von Eighthundred Streets By Feet in den Wagen strömten, war er zu Hause. Richtig zu Hause.
Das Verrückte war, dass die ganze CD ihm Lust machte, Bach zu hören. Es war ein sonderbares Verlangen. Er hörte nicht mehr viel klassische Musik. Doch etwas in der jüngsten Entwicklung des Trios schien das Ursprüngliche zu aktivieren. Den eigentlichen Kern.
Er durchsuchte den CD-Stapel in der Mittelkonsole des Wagens und war hocherfreut zu sehen, dass nahezu die gesamte Bach-Sammlung vorhanden war. Da lagen die Goldberg-Variationen in der Interpretation von Glenn Gould und die Brandenburgischen Konzerte , die Cellosuiten und das Wohltemperierte Klavier , da waren die Johannespassion und das Weihnachtsoratorium . Und die h-Moll-Messe .
Er wählte sie. Eine schönere Musik gab es nicht. Johann Sebastian Bachs h-Moll-Messe – weiter konnte der Mensch nicht kommen. Hjelm fuhr in seinem umweltfreundlichen neuen Ethanolauto weiter in den Norden Upplands und hatte das Gefühl, über der Erdoberfläche zu schweben. Nicht viel, nicht besonders abenteuerlich, aber konsequent. Das Leben wurde ganz einfach besser, als es vorher gewesen war. Alles wurde erhöht. Jede Einzelheit wurde verstärkt und vergoldet. Er wurde ein besserer Mensch.
Er ertrug sogar das Telefongespräch, das Bach unterbrach, gerade als er die Kommune Tierp erreichte. Es war kurz und bündig, und im Normalfall hätte es ihn umgebracht. Sara Svenhagen rief ihn an, um ihm mitzuteilen, dass die A-Gruppe eine Wohnung lokalisiert hatte, die die makabre Werkstatt eines Serienmörders zu sein schien, und dass dort eine junge Frau aufgetaucht war: Tova.
Seine Tova.
Paul Hjelms Tochter Tova.
Alles brach über ihm zusammen. Was war los mit ihm? Wie sahen eigentlich seine Prioritäten aus? War er ganz einfach unfähig geworden, menschlich haltbare Entscheidungen zu treffen?
Meine Tova …
Sara Svenhagen wartete geduldig am anderen Ende. Sie war eine Frau, die die Kunst beherrschte, zu warten und nichts zu überstürzen.
Schließlich sagte er: »Was tat sie da?«
»Sie wollte
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