Bußestunde
illegale Abmagerungspräparate kaufen.«
»Pfui Teufel«, sagte Paul Hjelm.
»Die Sache hat noch einen anderen und besseren Aspekt, Paul.«
»Was könnte das schon sein?«
»Wenn nicht gestern Nachmittag ein Junkie einen Videoverleih in Östermalm überfallen hätte, wäre deine Tochter einem Serienmörder in die Hände gefallen. Jetzt ist sie sicher.«
»Sicher? Sie hungert sich doch zu Tode, verflucht!«
»Ich behalte sie hier bei mir, bis du zurück bist. Dann musst du dafür sorgen, dass sie in Behandlung kommt.«
»Okay. Danke, Sara. Und entschuldige. War es hart?«
»Unbeschreibbar.«
Er zitterte, als das GPS ihn auf den Parkplatz des Pflegeheims Täppan in Tierp lotste. Mit den Händen auf dem Lenkrad blieb er im Wagen sitzen, und Bachs h-Moll-Messe gelang es nicht, ihn auch nur einen armseligen Zentimeter über den Boden zu erheben.
Schließlich ging er hinein. Es war Abend geworden, Montag, der 28. August. Besuchszeit bei den Alten.
Hans Hagström, geborener Michaelis, war ein rüstiger Zweiundneunzigjähriger von diesem hageren, sehnigen germanischen Aussehen, das ein langes, gesundes Leben andeutet. Nicht ganz das, was man sich unter einem Bäcker vorstellt. Fragte sich nur, ob sein Verstand noch ebenso gut funktionierte. Sein Blick ließ es auf jeden Fall vermuten. Er war blaugrau und klar.
»Es ist sicher einige Zeit her, dass Tore zu Besuch war, nicht wahr?«
»Tut mir leid«, sagte Hans Hagström mit nicht mehr als einer Messerspitze deutschem Akzent. »Ich weiß nicht, wovon Sie reden. Wer ist Tore?«
»Ihr Sohn«, sagte Paul Hjelm.
»Tut mir leid«, sagte der alte Mann mit glasklarem Blick. »Ich habe keinen Sohn.«
»Ich gehe davon aus, dass er Ihnen eingeschärft hat, so zu antworten«, sagte Hjelm.
»Und wer sind Sie?«, fragte Hans Hagström.
»Entschuldigen Sie, dass ich mich nicht vorgestellt habe. Ich heiße Paul Hjelm.«
»In welcher Straße haben Sie gewohnt, als Sie sechs Jahre alt waren?«
Hjelm hielt inne und betrachtete den Alten. Es war vielleicht eine Frage, wie man sie in einem Seniorenwohnheim erwarten konnte. Wo nur noch das Langzeitgedächtnis intakt war. Aber Heinz Michaelis’ Blick sagte etwas anderes. Er wartete wirklich auf die Antwort. »Segersjövägen«, sagte Paul Hjelm. »Segersjövägen in Tumba.«
Hans Hagström nickte zufrieden.
»Sie wissen, dass Tore verschwunden ist?«, fragte Paul Hjelm.
»Ich habe mir fast so etwas gedacht«, erwiderte Hagström.
»War es beim letzten Mal, als Sie ihn gesehen haben? Dass er Ihnen Instruktionen gab, wie man einen eventuellen Besucher mit Namen Paul Hjelm identifizieren könnte?«
»Ja«, sagte Hagström. »Vor gut drei Wochen.«
»Wissen Sie auch, warum ich hier bin?«
»Er hat gesagt, Sie würden kommen. Er hat mir gesagt, was ich fragen soll und welche Antwort ich bekommen müsste. Segersjövägen.«
»Ich bin hier, um ihn zu suchen. Um das tun zu können, muss ich mit Ihrem zweiten Sohn sprechen, Michael.«
Hans Hagström lächelte. Es war ein trauriges Lächeln. »Michael«, sagte er. »Michael Michaelis. Der Erzengel der Erzengel.«
»Wo ist er?«
»Dass wir noch einen Sohn bekamen, war eine Überraschung. Wir wollten nur ein Kind haben. Anna-Lisa und ich waren zufrieden, dass wir Tore hatten. Das reichte uns. Aber dann schenkte Gott uns noch ein zweites Kind, nachdem wir alle gezwungen gewesen waren, den Namen zu wechseln. Als sie uns weiter schikanierten und uns Nazis nannten. Michael ist fünfzehn Jahre jünger als Tore.«
»Und Erzengel?«
»Er bewegt sich nicht unter unseresgleichen«, sagte Hans Hagström mit seinem traurigen Lächeln.
»Wo bewegt er sich denn dann?«
»Das weiß niemand. Aber er sitzt in einer Anstalt in Järna. Ich habe nie gewusst, was er denkt.«
»Und seit gut drei Wochen haben Sie von Tore nichts mehr gehört? In keiner Weise?«
»Nein. Ich bin es gewohnt, dass er lange verschwindet. Aber diesmal war es anders. Nicht nur, dass er davon sprach, dass Sie mich aufsuchen würden, Paul Hjelm. Sondern auch, weil er selbst anders war. Als hätte er einen andersartigen Auftrag.«
»Inwiefern anders?«
»Weiß nicht. Wichtiger.«
»Hat er nichts darüber gesagt?«
»Nein. Er redet nicht über seine Arbeit. Wir haben Schach gespielt. Jetzt habe ich schon lange nicht mehr gespielt.«
Einen kurzen Moment lang überlegte Paul Hjelm, ob er in Tierp bleiben und mit dem alten Mann eine Partie Schach spielen sollte. Doch dann holte die Wirklichkeit ihn ein. Tova. Die
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