Bußestunde
und natürlich al-Qaida. Die Begegnung mit Osama bin Laden in den afghanischen Bergen. Ein so sanfter Mann. Die sizilianische Mafia nicht zu vergessen. Große Teile der amerikanischen Armee. Keine Spur, absolut keine Spur von demokratischem Instinkt.
Der demokratische Instinkt.
Ein so einfacher und so komplizierter Schutzwall.
Das Menschenbild der russischen Mafia, die exjugoslawischen paramilitärischen Kräfte, die extremistischen Hutu-Gruppen, die lateinamerikanischen Generäle, die somalischen Kindersoldaten. Irgendwo dort.
Im Schnittpunkt.
Dort im Schnittpunkt liegt der gemeinsame Nenner mit dem, was mich über die Grenze trieb.
Aber für mich war es noch ein bisschen schlimmer. Was ich gesehen habe. Was mir klar wurde. Was sich in den letzten Jahren abzeichnete.
Das werde ich nie wieder los.
Bagdad. Ich kann das Wort auch gleich hinschreiben. Es klingt so schön. Ein geradezu behagliches Wort. Ein Duft von Tausendundeiner Nacht . Ein Duft. Ein würziger Duft. Aber wann war das zuletzt so? Wirklich? Bagdad ist ein Mythos geworden. In Wirklichkeit ist es nichts weniger als die Hölle. Der mit Abstand gefährlichste Ort der Welt. Durch uns. Durch den Westen. Durch das unstillbare Bedürfnis der USA nach Öl.
Bagdad ist eine große Stadt. Eine wahnsinnige Stadt. In der es eine Reihe wahnsinniger Menschen gibt.
Aber vor allem einen.
Ich habe die schlimmsten gesehen. Ich bin Menschen begegnet und habe mit Menschen gesprochen, die sicher viel schlimmer waren als Hitler. Er hatte nur etwas mehr Kraft zur Verfügung. Ich habe Menschen die Hand geschüttelt, die, ohne eine Sekunde zu zögern, den Erdball in die Luft sprengen würden, wenn sie die Möglichkeit dazu hätten. Ich habe Menschen zugelächelt, die Dutzenden von Säuglingen persönlich die Gliedmaßen abgeschnitten haben. Es war ein Teil meines Alltags.
Es ist merkwürdig, dass in diesem Zusammenhang ein einziger Mensch stärker hervortritt als alle anderen. Das liegt sicher nicht nur an ihm. Sondern auch an mir. Es ist sicher die persönliche Chemie.
Aber er war es, der mich über die Grenze getrieben hat.
Er und kein anderer.
14
Lena Lindberg spürte, dass sie weder die Zeit noch die Möglichkeit hatte, aus dem Gleichgewicht zu geraten. Nicht jetzt. Nicht bei diesem Anblick. Nicht vor diesen parallel nebeneinander aufgestellten Obduktionstischen in der Staatlichen Gerichtsmedizinischen Abteilung in Solna. Nicht vor Johannes Åkerblom mit zerschmettertem Kopf und dem aufgeschnittenen, verfärbten Arm auf dem Tisch daneben.
Aber es war etwas mit den Blicken. Es waren zwei, und sie waren so verschieden. Gemeinsam richteten sie etwas bei ihr an. Einzeln hätte sie die Blicke ertragen – das hatte sie schließlich früher schon getan –, aber zusammen wurden Sigvard Qvarfordts und Brynolf Svenhagens Blicke einfach zu viel für sie. Sie hatte das Gefühl, aus dem Gleichgewicht zu geraten.
Es war ganz und gar unwahrscheinlich, dass Sigvard Qvarfordt noch Chef der Gerichtsmedizin war. Er war jetzt schon seit einiger Zeit weit über die hundert. Und sein Blick wirkte getrübter als der eines an grauem Star Erkrankten. Vermutlich war es die Verbindung von scheinbarer Blindheit gepaart mit Svenhagens scharfem klinischem Blick, die so unerträglich war. Brynolf Svenhagen war Leiter des Staatlichen Kriminologischen Laboratoriums und der Vater ihrer Partnerin. Obwohl es ihr äußerst schwerfiel, sich den urgesteinsharten Chef der Kriminaltechniker als Vater vorzustellen. Er bestand ohne Zweifel bis ins Rückenmark aus Granit.
»Ziemlich mitgenommen«, bekam sie auf jeden Fall heraus und zeigte dabei ein wenig fahrig auf Åkerbloms nackten Körper.
»Schwer zu beurteilen«, sagte Qvarfordt mit belegter Stimme. »Aber es gibt immerhin Anzeichen, die auf eine Axt schließen lassen.«
»Eine Axt?«
»Aber keine gewöhnliche Axt. Ich kann es nicht genauer bestimmen, eine spezielle Axt, die mit einem einzigen Schlag das halbe Gehirn ausgehöhlt hat und dabei das Auge hat mitgehen lassen.«
»Ah«, sagte Lena Lindberg, »ich sehe es. Ein Eispickel?«
»Ihr Detektive seid wie besessen von Eispickeln. Aber nur wenige Leute haben Eispickel im Haus.«
»Sonst noch was über Åkerblom?«
»Nur, dass dies die einzige Verletzung ist. Ausgesprochen klinisch, wenn du mich fragst. Ein sicherer tödlicher Schlag …«
»Kommen wir zu dem Arm«, sagte Lena. »Kann man sagen, wann der Arm abgetrennt wurde?«
»Nicht direkt«, krächzte Qvarfordt. »Aber als wir
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