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Bußestunde

Bußestunde

Titel: Bußestunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arne Dahl
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für einen schwedischen Spion die höchste in der Welt ist. Ich frage mich, warum das so ist. Warum Schweden überhaupt ein so sicheres Land ist. Trotz allem. Wenn überhaupt jemand eine Antwort auf diese Frage weiß, dann sicher ich. Und ich bin ratlos.
    Das Risiko, dass das Gehirn so schwer wird, dass es in sich zusammenfällt, ist bei uns also höher als bei anderen. Es ist der Moment, in dem wir verrückt werden. Oder schreiben müssen. Und das ist ja ungefähr das Gleiche.
    Ich habe vieles miterlebt. Es geht im Leben – nicht zuletzt für jemanden wie mich – oft darum, sich zu schützen, die Dinge nicht allzu sehr an sich heranzulassen. Die Zielsetzung sollte einfach sein: Wir sollen die Demokratie – das friedliche, alltägliche Leben der Menschen im Allgemeinen – vor ihren Feinden schützen. Und es kommt vor, dass wir das mit undemokratischen Mitteln tun müssen.
    All das ist Gemeingut. Alles das weiß jeder.
    Was die Leute nicht wissen, ist, wie viel Böses es trotz allem gibt. Es ist übrigens selten wirklich böse. Es kommt selten vor, dass jemand tatsächlich das Ziel verfolgt, anderen zu schaden. Aber es ist oft unvermeidlich, wenn man auf Macht und Geld aus ist. Und darum dreht sich leider alles. Um Macht und Geld. Vielleicht auch um ein bisschen Sex.
    Macht und Geld bin ich wirklich leid.
    Vielleicht nicht den Sex.
    Aber das genügt natürlich nicht als Erklärung. Als Erklärung dafür, dass ich diesen Schritt getan habe.
    Was ich hier schreibe, soll kein anderer lesen (außer vielleicht Michael). Es ist mein Versuch, mir selbst darüber klar zu werden, ob ich das Richtige tue.
    Es gibt Handlungen, die vielleicht nicht richtig sind. Ich habe mehr gesehen als die meisten anderen Menschen. Aber ich habe mich immer an die Spielregeln gehalten. Ich habe gesehen, dass sie trotz allem gut sind. Die Spielregeln sind das, was uns trotz allem zusammenhält, das, was uns davor schützt, vor Machtgier zu platzen.
    Aber ich drücke mich unklar aus. Warum? Kann ich meine Handlungen noch nicht einmal für mich selbst definieren?
    Doch, natürlich kann ich das. Ich bin auf dem Weg. Es dauert nur ein bisschen, die Feder in Gang zu bringen.
    Formulieren wir es so: Mein Leben hat sich seit dreißig Jahren jenseits aller normalen Grenzen des Erträglichen abgespielt. Es ist klar, dass ich mehr Böses, mehr Leiden gesehen habe, als ein »normaler« Mensch aushalten kann. Es ist nur so, dass meine Grenzen von Anfang an auf einer höheren Ebene lagen. Darin bestand eigentlich die Grundausbildung, meine internationale Grundausbildung. Darin, die Grenzen des Erträglichen auszuweiten. Die Fähigkeit zu erwerben, die Fassung weit jenseits der Grenzen anderer zu bewahren. Aber anderseits durfte ich auch die Grenzen nicht aus den Augen verlieren, wie es so vielen von uns passiert. Unsere schlimmsten Feinde sind immer Menschen wie wir selbst, genau solche Menschen wie wir, mit dem winzig kleinen Unterschied, dass sie die Grenzen aus den Augen verloren haben. Unser ganzer Kampf – alles das, was Böses von Gutem in dieser Welt um Haaresbreite trennen kann, in dieser Welt, in der ein Wort wie »Güte« total parodistisch ist – , dieser Kampf dreht sich um diese Trennlinie. Die Trennlinie zwischen der deutlich ausgeweiteten und der nicht vorhandenen Grenze. Dort findet der Kampf statt.
    Und wenn der Kampf zu weit geht, kommen auch Menschen wie ich an ihre äußerste Grenze. Und dann wird es wirklich schwer. Denn dann müssen wir uns entscheiden, entweder unterzugehen oder grenzenlos zu werden. Ich habe meine Entscheidung getroffen. Und ich werde dafür einstehen.
    Es begann in den Siebzigerjahren. Ich sah, wie sich die Baader-Meinhof-Gruppe zum Menschenleben verhielt – damals wurde ich geformt. Die Rote Armee Fraktion. Handlanger des Todes. Idealisten bis in den Tod. Ideale ohne Verankerung im Leben.
    Aber sie waren natürlich durchaus nicht die Schlimmsten. Sie blieben trotz allem immer Menschen. Ruanda war brutaler. Vielleicht war Ruanda am schlimmsten. Somalia und der Sudan waren kein Kinderspiel. Und eigentlich auch nicht die Palästinenser und die Israelis. Der klinische Hass. Die Militärregimes in Argentinien und Chile. Die Handlanger Idi Amins. Pol Pot, die Roten Khmer. Die Organhändler in Brasilien, die russische Mafia, die Taliban, das chinesische Rechtssystem. Die IRA auf dem Höhepunkt ihrer Aktivität. Die CIA in ihren schlimmsten Zeiten. Der ganze europäische Rechtsextremismus. Die Hölle in Jugoslawien,

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