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Bußestunde

Bußestunde

Titel: Bußestunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arne Dahl
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spannst sie fest und siehst aus dem Fenster.
    Die Fenster des Turms leuchten in einer sinnlosen, bunten Konstellation.
    Dann öffnest du die Werkzeugkiste mit einem Knall.

16
    Freitag, 26. Mai
    Ich hatte nie Hass verspürt. Ich hatte viele Gefühle, aber Hass fühlte ich zum ersten Mal vor einem knappen Jahr. Seitdem versuche ich, mit diesem Gefühl zurechtzukommen.
    Mit dem Gefühl von Hass.
    Ich kann nicht behaupten, dass ich es mag. Aber es ist das, was mich treibt. Gerade jetzt. Und ich weiß, wohin es mich treiben will. Und da ist das Problem.
    Ich muss sehr vorsichtig sein. Denn natürlich sind sie hinter mir her. Es wird vermutlich ein schwieriger Sommer. Und es geht darum, nichts zu zeigen. Nicht das Geringste.
    Ich bin ein geläuterter Spion. Ich habe alles gesehen. Ich bin ihnen allen begegnet, all den Mördern, all den Politoffizieren ohne Gewissen. Ich habe sie alle bekämpft, aber ich habe es immer im Rahmen des Erlaubten getan. Zwar gelten in der Welt, in der ich mich bewege, ganz andere Grenzen des Erlaubten als in der normalen Zivilgesellschaft. Gleichwohl habe ich mich an diese Grenzen gehalten.
    Was tue ich jetzt, da dies nicht länger ausreicht?
    Welche Möglichkeiten habe ich?
    Wenn ich genau darüber nachdenke, lautet die Antwort: alle.
    Ich habe alle Möglichkeiten der Welt. Niemand im bekannten Universum hat so viele internationale Kontakte wie ich. Natürlich kann ich eine Lösung finden. Ich kann auch jenseits des Rahmens des Erlaubten agieren.
    Ich muss zurück zu jenem Augenblick, als ich zum ersten Mal Hass fühlte. Deshalb schreibe ich dies hier, um mir selbst mein Handeln zu verdeutlichen. Nicht um zu erzählen, was ich vorhabe. Das ergibt sich auch so.
    Ich brauche die Selbstreflexion. Sonst nichts.
    Wann fing ich also an zu hassen?
    Ich kann den Augenblick bestimmen. Ich kann den Zeitpunkt auf die Sekunde genau angeben. Und ich bin überzeugt, dass niemand etwas merkte.
    Das ist ja meine Spezialität. Mir nichts anmerken zu lassen.
    Spione, denen es plötzlich in den Sinn kommt, sich im Spiegel zu betrachten, werden fast immer von Selbstekel gepackt. Wofür hat man eigentlich ein normales, zivilisiertes Leben geopfert? War es das wert? Und vor allem: Was ist aus einem geworden?
    Was für ein Mensch ist man eigentlich geworden?
    Die meisten von uns haben getötet. Beinahe alle. Ich auch. Ich schaue in den Spiegel und sehe einen Menschen, der getötet hat. Tatsache ist, dass ich in sämtlichen Erdteilen getötet habe. Ich habe in Schweden Industriespione getötet, Paramilitärs in Jugoslawien, Milizionäre im Sudan, einen Serienmörder in den USA, Nazis in Uruguay, Kernwaffenschmuggler in Nordkorea, ein paar Mafiosi in Russland und sogar ein paar Selbstmordattentäter in Australien. Alle Taten waren motiviert. Daher habe ich mir schon seit Langem keine Illusionen über mein eigenes Gutsein gemacht. Dennoch arbeite ich letztlich für eine gute Sache. Ich weigere mich, den Glauben daran aufzugeben. Wenn ich das tue, wird es mir schwerfallen, mich im Spiegel anzusehen.
    Ich kann also nicht behaupten, dass meine Selbstreflexion Selbstekel hervorruft. Nicht mehr als bei älteren Menschen üblich. Ich bereue nichts, und ich vermisse nichts von dem, was ich nicht bekommen habe. Tatsache ist, dass ich Kinder nie vermisst habe. Ich weiß nicht, ob das ein Makel ist. Vermisst habe ich eine Partnerin, eine feste Liebespartnerin. Jemanden, der mich mindestens so gut versteht wie ich mich selbst.
    Ich habe mich mit anderen Partnerinnen abfinden müssen. Das war okay. Ein Mädchen in jedem Hafen. Oder zumindest in fast jedem Land auf dem Globus …
    Aber das hört sich fast nach Angeberei an. Gebe ich vor mir selbst an? Was für eine selten dämliche Idee. Darüber wollte ich nun wirklich nicht schreiben. Ich wollte von dem Augenblick schreiben, in dem Hass über mich kam.
    Zuerst begriff ich nicht ganz, was ich da fühlte. Es wich so markant von meinen normalen Reaktionen ab. Und es waren nur Worte, die es auslösten. Die zurückhaltenden Worte eines Mannes.
    Eines betroffenen Mannes.
    Ich habe viel Schlimmeres erlebt. Dinge, bei denen das Wort »betroffen« wirklich zutreffend war. Bei denen es unbestreitbar war. In diesem Fall sah es anders aus. Es kam so unerwartet. Ein Leiden von der Seite. Und hervorgebracht von – eben ihm. Den ich in ganz anderer Weise in Aktion gesehen hatte, an ganz anderen Stellen auf dem Globus.
    Es war das erste Mal, dass ich wirklich vom globalisierten Bösen betroffen

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