Butter bei die Fische: Ein Ostfriesen-Krimi (Piper Taschenbuch) (German Edition)
wegsteckte.
»Dieses bucklige Männlein …« Elias hüstelte. »Haben Sie eine Vermut…«
»Herrgott!«, fuhr Gitta ihn an. »Wollen Sie sich lustig machen? Meine Schwester ist geistig zurückgeblieben, und ich weiß selbst, dass sie manchmal rumphantasiert. Aber dass Steffi weg ist, das ist … real! Die ist wirklich weg! Scheißmännlein!« Die Tränen brachen sich erneut Bahn, und Harm spendierte weitere Taschentücher.
»Wenn Sie uns bitte genau den Hergang schildern könnten, also die Details«, bat er.
» Ich – war – weg !«
»Selbstverständlich, aber …«
»Das kapiert keiner, was? Dass man Behinderte in der Familie haben kann und für sie sorgt und trotzdem gelegentlich auch mal Geld verdienen muss! O nein, wir haben ja unser Sozialsystem. Für behinderte Menschen gibt’s beschissene Heime, wo sie verschwinden, damit wir sie nur ja nicht sehen müssen. Wer bürdet sich so was denn auch auf! Da ist man ja ein Trottel. Aber für mich sind Bärbel und Steffi keine Bürde, klar? Nur muss ich trotzdem manchmal weg.«
»Völlig klar.« Harm stand auf und füllte eine Tasse mit Tee. Er reichte sie Gitta, die daraufhin ein bisschen besänftigt wirkte. Sie gab zwei Kandis in den Tee.
»Es ist wegen dem verdammten Futter«, sagte sie. »Ich brauche einen neuen Futterlieferanten. Aber um zu beurteilen, ob der was taugt, muss man hinfahren und ihn sich ansehen.«
Elias notierte auf einem Haftzettel: Grund der Abwesenheit – Futterlieferant. Geschäftsreise über Ostern?
Gitta begann über Biofutter für Hennen zu reden, das doppelt so teuer war wie normales. Es bestand zu fünfzig Prozent aus Weizen, zu zehn Prozent aus Erbsen, dann noch aus Kartoffeleiweiß, Sojakuchen und Mais, in unterschiedlichen Anteilen, und zu einem Prozent aus Ölen. Aber nur aus mechanischen Pressverfahren.
»Verstehe«, sagte Harm.
»Warum nur mechanisch?«, wollte Elias wissen.
»Spielt das eine Rolle?«
Nein. Es hätte ihn nur interessiert.
»Sie halten mich für bescheuert, ja?«
»Wir halten Sie für eine besorgte Tante, die zu Recht bei der Polizei Hilfe anfordert«, besänftigte Harm. »Wie genau war das denn nun mit Steffi?« Er hatte jetzt einen pastoralen Ton angenommen, eine Spur dunkler, als er normalerweise sprach, und Elias merkte, wie positiv Gitta darauf reagierte. Er beschloss, sich diesen Trick für künftige Vernehmungen zu merken. Sie erfuhren, dass Gitta am Dienstagmorgen von ihrer Reise nach Hause gekommen war.
»Dann war das eine Reise von fünf Tagen, ja?«, hakte Elias nach und fing sich einen bösen Blick von Gitta ein. Er notierte: Fünf Tage unterwegs – über Ostern – wegen Futtermittel?
»Ja, verdammt«, schnauzte Gitta. Und dann war sie von der völlig aufgelösten Bärbel empfangen worden, die ihr von Steffis Verschwinden erzählte.
»Hat sie auch von dem buckligen … Schon gut«, sagte Elias, der Harms Blick auffing. Das konnte man auch noch später klären. Steffi war offenbar in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag verschwunden. Spurlos. Wie weggehext.
»Wie alt ist sie denn?«, wollte Harm wissen.
»Dreizehn.«
»Tja, das ist ein schwieriges Alter. Kenne ich selbst aus der Verwandtschaft. Gibt es vielleicht einen Jungen oder … ich meine, das ist doch das Alter …«
»Scheiße!«, brüllte Gitta.
Harm fuhr sich mit dem Daumennagel über die Lippe.
»Mensch, ist das denn immer noch nicht klar?«, flüsterte die Frau in der Strickjacke plötzlich völlig erschöpft. »Steffi ist behindert. Geistig und körperlich. Die sitzt im Rollstuhl.«
Und damit lag der Fall schlagartig völlig anders. Steffi war also nicht abgehauen und kampierte auch nicht bei Freunden, wie Kinder das manchmal machten, wenn sie zu Hause Stress hatten. Sie war ein dreizehnjähriges Mädchen mit dem Verstand einer Sechsjährigen und konnte fast gar nicht laufen. Also musste jemand in ihr Verschwinden involviert sein. Falls sie nicht verunglückt war.
Harm startete hektisch das volle Programm. Die Spusi und eine rasch gebildete Sonderkommission – die praktisch aus dem gesamten K 1 bestand – fuhren nach Neermoor zum Hof von Familie Coordes. Das alte Bauerngut war unter ästhetischem Gesichtspunkt eine Augenweide. Ein reetgedecktes Haus, an das sich im hinteren Bereich ein kleineres Häuschen anschloss, das Altenteil. Gärten mit weißen Holzzäunen schmückten das Grundstück. Außerdem gab es einen kleinen Teich, blaue Bänke mit gestreiften Sitzpolstern, einen Brunnen mit grün lackiertem
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