Byrne & Balzano 02 - Mefisto
meine.«
»Nein, wissen wir nicht. Sagen Sie es uns.«
Pace warf einen Blick nach links, dann nach rechts. Byrne und Jessica bereiteten sich auf Nachbarschaftstratsch vor. Pace beugte sich vor. »Sie sah aus, als hätte sie zu viel getrunken. Außerdem hatten die beiden ein paar Flaschen dabei. Ich tratsche nicht gern, aber Sie haben mich gefragt, und nun haben Sie Ihre Antwort.«
»Könnten Sie den Mann beschreiben, der Mrs. Chandler begleitet hat?«
»O ja«, sagte Pace. »Bis zu seinen Schnürbändern, wenn es sein muss.«
»Wie kommt denn das?«, fragte Jessica.
Der Mann musterte sie mit einem hintergründigen Lächeln, wodurch ein paar Jahre aus seinem faltigen Gesicht getilgt wurden. »Junge Frau, ich sitze seit über dreißig Jahren in diesem Stuhl. Meine Hauptbeschäftigung besteht darin, Menschen zu beobachten.«
Mr. Pace schloss die Augen und zählte alles auf, was Jessica trug, bis hin zu ihren Ohrringen und der Farbe des Stiftes in ihrer Hand. Dann schlug er die Augen wieder auf und zwinkerte ihr zu.
»Beeindruckend«, sagte Jessica.
»Es ist eine Begabung. Ich habe nicht darum gebeten, aber ich besitze sie, und ich versuche, diese Gabe zum Wohle der Menschheit zu nutzen.«
»Wir kommen noch mal wieder, ja?«, sagte Jessica.
»Dann werde ich hier sitzen, meine Liebe.«
***
Jessica und Byrne standen in Stephanies Zimmer. Zuerst glaubten sie, sie könnten die Erklärung für das, was Stephanie widerfahren war, in diesen vier Wänden finden – in ihrem Leben, das Stephanie bis zu dem Tag geführt hatte, als sie gewaltsam aus dem Leben schied. Sie hatten jedes Kleidungsstück, jeden Brief, jedes Buch und jedes Schmuckstück unter die Lupe genommen.
Als Jessica sich noch einmal umsah, fiel ihr auf, dass alles genauso aussah wie an dem Tag, als sie mit Mrs. Chandler gesprochen hatten. Bis auf eine Ausnahme. Der Bilderrahmen auf dem Schrank, in dem das Foto von Stephanie und ihrer Freundin gesteckt hatte, war jetzt leer.
60.
Ian Whitestone war ein Mann mit kultiviertem Auftreten und solch präzisen und sparsamen Gedankengängen, dass er die Menschen, mit denen er zu tun hatte, oft wie einen Tagesordnungspunkt abhandelte. Seth Goldman kannte Ian schon viele Jahre, doch er hatte noch nie erlebt, dass dieser spontan Gefühle gezeigt hätte. Seth hatte noch nie einen Mann kennen gelernt, der sich in seinen zwischenmenschlichen Beziehungen so kalt und nüchtern verhielt. Seth fragte sich, wie Ian die Nachricht aufnehmen würde.
Die wichtigsten Szenen von The Palace sollten in einem meisterhaften dreiminütigen Dreh in der 30 th Street Station gedreht werden, dem großen Bahnhof in der Dreißigsten Straße. Es waren die letzten Filmaufnahmen und insofern bedeutsam, als sie eine Nominierung für die beste Regie, wenn nicht gar als bester Film garantieren würden.
Die Abschlussparty sollte in dem eleganten Nightclub namens 32 Degrees in der Zweiten Straße stattfinden, einer Eurobar, die nach ihrem Brauch benannt worden war, Schnaps in Gläsern aus richtigem Eis zu servieren.
Seth stand im Bad seines Hotelzimmers. Er hatte das Gefühl, sich selbst nicht anschauen zu können. Er hielt das Foto an einer Ecke fest und schnippte das Feuerzeug an. Das Foto brannte augenblicklich. Er ließ es ins Waschbecken fallen, und Sekunden später war nur noch Asche übrig.
Noch zwei Tage, dachte er. Mehr brauchte er nicht. Noch zwei Tage, dann konnten sie das hässliche Kapitel hinter sich lassen.
Bis alles wieder begann.
61.
Zum ersten Mal hatte Jessica die Leitung einer Sondereinheit übernommen. Ihre wichtigste Aufgabe bestand darin, alle zur Verfügung stehenden Mittel und Kräfte mit dem FBI abzustimmen. Zweitens musste sie die obersten Bosse laufend über den aktuellen Stand der Ermittlungen unterrichten und ein Täterprofil erstellen.
Der Phantombildzeichner arbeitete an dem Bild des Mannes, den Mr. Pace in Begleitung von Faith Chandler gesehen hatte. Zwei Detectives verfolgten die Spur der Kettensäge, mit der Julian Matisse getötet worden war. Zwei Detectives verfolgten die Spur der bestickten Jacke, die Julian Matisse in Philadelphia Skin getragen hatte.
Das erste Treffen der Sondereinheit sollte um sechzehn Uhr stattfinden.
***
Die Fotos der Opfer hingen an einer Dokumentationstafel: Stephanie Chandler, Julian Matisse und ein Foto des weiblichen Opfers aus Eine verhängnisvolle Affäre, das noch immer nicht identifiziert werden konnte. Bisher lag keine Vermisstenmeldung vor, auf die die
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