Byrne & Balzano 02 - Mefisto
Matisse.«
65.
Als Faith Chandler vor dem Hotel aufgetaucht war, wusste er, dass es der Anfang vom Ende war.
Faith hatte ihn angerufen, um es ihm mitzuteilen und um mehr Geld zu verlangen. Jetzt war es nur noch eine Frage der Zeit, bis sich für die Polizei alles zu einem Bild zusammenfügte und alles ans Licht käme.
Er stand nackt vor dem Spiegel und betrachtete sich. Seine Mutter starrte ihn mit ihren traurigen feuchten Augen an und fällte ein Urteil über den Mann, der er geworden war. Nachdenklich strich er sich mit der hübschen Bürste durchs Haar, die Ian ihm bei Fortnum & Mason gekauft hatte, dem exklusiven britischen Kaufhaus.
Zwing mich nicht, dir jetzt Adieu zu sagen.
Er hörte Geräusche vor seinem Hotelzimmer. Es hörte sich nach dem Mann an, der jeden Tag um diese Zeit ins Zimmer kam, um die Minibar aufzufüllen. Seth blickte auf den kleinen Tisch neben dem Fenster, auf dem ungefähr ein Dutzend leerer Flaschen lag. Richtig betrunken war er nicht. Zwei Flaschen waren noch übrig. Er hätte noch einen Schluck vertragen können.
Er zog das Band aus der Kassette, und kurz darauf bildete sich auf dem Boden zu seinen Füßen ein unentwirrbares Knäuel. Neben dem Bett stapelten sich bereits ein Dutzend leerer Kassetten zu einem bizarren Kunstwerk.
Sein Blick wanderte zu dem Regal neben dem Fernseher. Es waren nur noch ein paar Kassetten übrig. Er würde sie alle vernichten und danach vielleicht sich selbst.
Es klopfte an der Tür. Seth schloss die Augen. »Ja?«
»Minibar, Sir?«
»Ja«, sagte Seth. Er war erleichtert, wusste aber, dass dieses Gefühl nicht lange andauern würde. Er räusperte sich. Hatte er geweint? »Warten Sie bitte.«
Er zog seinen Bademantel an, schloss die Tür auf und huschte ins Bad. Er wollte niemanden sehen. Er hörte, dass der junge Mann das Zimmer betrat und die Minibar mit Flaschen und Snacks füllte.
»Gefällt es Ihnen in Philadelphia, Sir?«, rief der junge Mann aus dem Hotelzimmer.
Seth hätte beinahe gelacht. Er dachte an die Ereignisse der letzten Woche, die ihm den Boden unter den Füßen wegzureißen drohten. »Sehr«, log er.
»Wir hoffen, dass Sie bald wieder in unsere Stadt kommen.«
Seth atmete tief ein und bemühte sich um Fassung. »Auf der Kommode liegt Geld. Nehmen Sie sich zwei Dollar«, rief er. Hinter der lauten Stimme suchte er seine Erregung zu verbergen.
»Danke, Sir«, sagte der junge Mann.
Kurz darauf hörte Seth, dass die Tür ins Schloss fiel.
Seth blieb eine Minute lang auf dem Badewannenrand sitzen und stützte den Kopf in die Hände. Was war nur aus ihm geworden? Er kannte die Antwort, doch es fiel ihm schwer, es zuzugeben. Er dachte an den Moment, als Ian Whitestone vor vielen Jahren in den Autosalon gekommen war und sie bis zum frühen Morgen geplaudert hatten. Über Filme. Über Kunst. Über Frauen. Über so persönliche Dinge, dass Seth niemals mit einem anderen Menschen darüber gesprochen hatte.
Er ließ Wasser in die Wanne laufen. Nach fünf Minuten überprüfte er mit den Zehen die Temperatur. Seth öffnete eine der beiden letzten Flaschen Bourbon, goss den Inhalt in ein Wasserglas und trank es in einem Zug leer. Er zog den Bademantel aus und stieg ins heiße Wasser. Er hatte mit dem Gedanken gespielt, sich die Pulsadern aufzuschneiden, war aber rasch wieder davon abgekommen. Frankie Pentangeli in Der Pate, Teil II. Dazu fehlte ihm der Mut, falls dazu Mut erforderlich war.
Eine Minute lang schloss er die Augen. Eine Minute, und dann würde er die Polizei rufen und seine Aussage machen.
Wann hatte es angefangen? Er hätte sein Leben gerne mit theatralischen Worten beschrieben, doch er kannte die simple Antwort. Es begann mit der jungen Frau. Sie hatte sich niemals zuvor Heroin gespritzt. Sie hatte schreckliche Angst gehabt, war aber gefügig. Sehr gefügig. Das waren sie alle. Er erinnerte sich an ihre Augen, die kalten toten Augen. Er erinnerte sich genau an den Tag, als er sie in den Wagen geladen hatte. Die furchtbare Fahrt nach Nord-Philadelphia. Die schmuddelige Tankstelle. Die Schuld. Hatte er seit diesem entsetzlichen Abend überhaupt eine einzige Nacht richtig geschlafen?
Seth wusste, dass es noch einmal an die Tür klopfen würde. Die Polizei würde ein ernstes Wort mit ihm reden wollen. Aber nicht sofort. Noch ein paar Minuten.
Ein paar Minuten noch.
Dann hörte er ein leises Geräusch. Ein Stöhnen? Ja. Es hörte sich an wie aus einem der Pornofilme. Drang es aus dem angrenzenden Zimmer? Nein. Es dauerte
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