Byrne & Balzano 02 - Mefisto
einen Moment, bis Seth erkannte, dass das Geräusch aus seinem eigenen Hotelzimmer drang, aus seinem Fernseher.
Mit klopfendem Herzen richtete er sich in der Badewanne auf. Das Wasser war warm, aber nicht mehr heiß. Er hatte schon eine Weile in der Wanne gelegen.
In seinem Hotelzimmer war jemand.
Seth verrenkte sich den Hals und versuchte, einen Blick durch den Spalt der Badezimmertür ins Hotelzimmer zu werfen. Die Tür war angelehnt, doch aufgrund des Winkels konnte er nur ungefähr zwei Meter weit ins Hotelzimmer schauen. Er hob den Blick. In der Badezimmertür steckte ein Schlüssel. Würde es ihm gelingen, leise aus der Badewanne zu steigen, die Tür zuzuschlagen und abzuschließen? Vielleicht. Und dann? Was würde er dann tun? Er hatte sein Handy nicht mit ins Bad genommen.
Dann hörte er wenige Zentimeter von der Badezimmertür entfernt eine Stimme.
Seth dachte an den Vers aus dem Love Song von J. Alfred Prufrock von T. S. Eliot.
Bis uns menschliche Stimmen wecken…
»Ich bin neu in der Stadt«, sagte die Stimme vor der Tür. »Ich habe seit Wochen kein freundliches Gesicht gesehen.«
Und wir ertrinken.
66.
Jessica und Byrne fuhren zum Büro von Alhambra LLC. Sie hatten dort angerufen und es ebenfalls auf Seth Goldmans Handy versucht, doch beide Male hatte sich nur die Mailbox gemeldet. Sie hatten Ian Whitestone in seinem Hotelzimmer im Park Hyatt angerufen. An der Rezeption wurde ihnen gesagt, Mr. Whitestone sei nicht im Hotel und nicht erreichbar.
Sie parkten auf der anderen Straßenseite, gegenüber von dem kleinen, unscheinbaren Gebäude in der Race Street. Einen Moment saßen sie schweigend im Wagen.
»Wie kommt Matisse' Fingerabdruck auf die Waffe?«, fragte Jessica. Die Waffe war vor sechs Jahren als gestohlen gemeldet worden. In der Zwischenzeit konnte sie durch hundert Hände gewandert sein.
»Der Filmemacher muss sie an sich genommen haben, als er Matisse ermordet hat«, meinte Byrne.
Jessica hatte noch sehr viele Fragen, was sich in der Nacht abgespielt hatte, als Byrne mit Matisse in dem Keller war. Sie wusste nur nicht, wie sie ihre Fragen formulieren sollte. Wie es ihre Art war, redete sie nicht lange um den heißen Brei herum. »Kevin, als du mit Matisse unten in dem Keller warst, hast du ihn da durchsucht? Hast du das Haus durchsucht?«
»Ja, ich hab ihn abgetastet«, sagte Byrne. »Das ganze Haus habe ich nicht durchsucht. Könnte sein, dass Matisse diese 25er-Raven irgendwo versteckt hatte.«
Jessica dachte darüber nach. »Ich glaube, er ist auf eine andere Weise an die Waffe gekommen. Ich kann nicht erklären, warum. Ist bloß ein Gefühl.«
Byrne nickte. Er wusste, was sie meinte. Auch er richtete sich oft nach seinen Gefühlen. Sie schwiegen wieder, was bei Beschattungen nicht unüblich war.
Schließlich fragte Jessica: »Wie geht es Victoria?«
Byrne zuckte mit den Schultern. »Immer noch kritisch.«
Jessica wusste nicht, was sie sagen sollte. Byrne hatte ihr nicht genau erklärt, welche Beziehung er zu Victoria hatte. Doch was sie erlebt hatte, war entsetzlich, ob die beiden nun Freunde waren oder ein Liebespaar. Und Byrne gab sich offenbar die Schuld daran.
»Es tut mir leid, Kevin«, sagte Jessica.
Byrne schaute aus dem Seitenfenster, um den neu entfachten Kummer zu bezwingen.
Jessica musterte ihn. Sie dachte daran, wie er vor einigen Monaten im Krankenhaus ausgesehen hatte. Rein äußerlich hatte er sich erholt und war fast so kräftig und stark wie an dem Tag, als sie ihn kennen gelernt hatte. Aber Jessica wusste, dass die Stärke eines Mannes wie Kevin Byrne in seinem Innern verborgen lag, und bis dorthin konnte sie nicht durchdringen. Noch nicht.
»Und Colleen?«, fragte Jessica. Sie hoffte, dass ihre Fragen sich nicht nach oberflächlichem Smalltalk anhörten. »Wie geht es ihr?«
»Sie ist groß und selbstständig. Sie ähnelt immer mehr ihrer Mutter. Und ansonsten weiß ich oft nicht, was in ihr vorgeht.«
Er drehte sich zu Jessica um und lächelte. Jessica war froh darüber. Als er Ostern angeschossen worden war, hatten sie sich gerade erst kennen gelernt. Doch in der kurzen Zeit hatte sie erfahren, dass er seine Tochter über alles liebte. Jessica wünschte Byrne, dass ihm das innige Verhältnis zu seiner Tochter erhalten blieb.
Jessica hatte sich damals mit Colleen und Donna angefreundet. Fast einen Monat lang hatten sie sich jeden Tag im Krankenhaus getroffen, und das Drama hatte sie zusammengeschweißt. Jessica hatte vorgehabt, diese Beziehung
Weitere Kostenlose Bücher