Byrne & Balzano 02 - Mefisto
erwachte auf der Couch. Er hatte von Jimmy Purify geträumt, von Jimmy und seiner sonderbaren Logik. Er hatte von einem Gespräch geträumt, das sie einst geführt hatten, eines Nachts in der Mordkommission, vielleicht ein Jahr, ehe Jimmy der Bypass gelegt wurde. Sie hatten gerade einen ganz üblen Hurensohn zur Strecke gebracht, der wegen dreifachen Mordes gesucht worden war, und waren guter Stimmung. Jimmy hatte seine Füße auf den Schreibtisch gelegt, den Krawattenkragen gelöst und den Gürtel gelockert und stopfte sich eine riesige Portion gebackener Kartoffelchips rein. Jemand erwähnte, dass der Arzt Jimmy geraten habe, den Verzehr fettiger und süßer Speisen zu reduzieren. Gerade davon ernährte Jimmy sich hauptsächlich; hinzu kam eine Unmenge Whiskey.
Jimmy richtete sich auf und nahm seine Buddha-Pose ein. Jeder wusste, dass jetzt eine interessante Argumentation folgte.
»Was ich hier esse, ist zufällig sehr gesund«, sagte er. »Ich kann's beweisen.«
Die Kollegen starrten ihn an und dachten im Stillen: Da sind wir aber mal gespannt.
»Okay«, begann Jimmy. »Kartoffeln sind Gemüse, richtig?«, sagte er grinsend – seine Lippen und seine Zunge ein leuchtendes Orange in dem dunklen Gesicht.
»Richtig«, stimmte jemand zu. »Kartoffeln sind Gemüse.«
»Und die Kartoffeln, die ich esse, sind gebacken, richtig?«
»Lässt sich nicht abstreiten«, bestätigte jemand.
»Also esse ich gebackenes Gemüse, und das ist gesund«, sagte er in ernstem Tonfall und mit unbewegter Miene. Niemand konnte besser irgendwelchen Unsinn erzählen, ohne eine Miene zu verziehen.
Jimmy, du verdammter Hund, dachte Byrne.
Gott, wie er ihn vermisste.
Byrne stand auf, spritzte sich in der Küche Wasser ins Gesicht und setzte den Kessel auf. Als er ins Wohnzimmer zurückkehrte, lagen die Unterlagen zu dem Fall noch an derselben Stelle auf dem Boden.
Byrne umkreiste die Beweise. Irgendwo dazwischen müsste die Lösung des Falles zu finden sein, aber der Weg dorthin war ihm versperrt. Es war zum Verrücktwerden.
Im Fall dieses Mädchens haben wir nicht richtig gehandelt, Kevin.
Warum musste er immerzu an diesen einen Satz denken? Er erinnerte sich an die Nacht, als wäre es gestern gewesen. Jimmy lag im Krankenhaus. Ihm wurde ein Überbein am Fuß entfernt. Byrne arbeitete daher mit Phil Kessler zusammen. Der Anruf kam gegen zweiundzwanzig Uhr rein. In der Toilette einer Sunoco-Tankstelle in Nord-Philadelphia war eine Leiche gefunden worden. Als sie am Tatort eintrafen, suchte Kessler wie immer nach einem Vorwand, sich nicht in der Nähe der Leiche aufhalten zu müssen. Er begann auf der Stelle, Leute zu befragen.
Byrne betrat die Damentoilette. Ihm schlug der Geruch von Desinfektionsmitteln und Urin entgegen. Zwischen der Toilette und den dreckigen Wandkacheln lag eine junge Frau. Sie war schlank und blond, kaum älter als zwanzig Jahre. Auf ihrem Arm waren Einstiche. Offenbar war sie drogenabhängig, spritzte aber nicht regelmäßig. Byrne fühlte ihren Puls, doch das Herz der jungen Frau schlug nicht mehr. Sie wurde noch am Fundort für tot erklärt.
Byrne erinnerte sich, dass er lange auf den Leichnam gestarrt hatte, der in unnatürlicher Pose auf dem Boden lag. Er hatte sich gesagt, dass ihr dieses Ende nicht vorherbestimmt war. Sie hätte Krankenschwester, Anwältin, Wissenschaftlerin oder Tänzerin werden sollen, auf keinen Fall aber eine Drogentote.
Es gab Anzeichen eines Kampfes – Druckstellen an den Handgelenken, blaue Flecke auf dem Rücken –, doch der hohe Heroingehalt in ihrem Blut und die frischen Einstiche in den Armen bewiesen, dass sie sich erst kürzlich den goldenen Schuss gesetzt hatte. Die offizielle Todesursache lautete: Tod durch Überdosis.
Aber hatte er überhaupt den Verdacht gehegt, dass etwas anderes dahintersteckte?
Als es an der Tür klopfte, kehrte Byrne in die Realität zurück. Er öffnete. Vor ihm stand ein Polizist und reichte ihm einen Umschlag.
»Sergeant Powell sagt, die Akte sei falsch abgeheftet worden«, erklärte er. »Es tut ihm leid.«
»Danke«, sagte Byrne.
Er schloss die Tür und riss den Umschlag auf. Das Bild des Mädchens war auf den Aktendeckel geheftet. Er hatte vergessen, wie jung sie ausgesehen hatte. Byrne schaute im ersten Augenblick absichtlich nicht auf den Namen, der auf der Akte stand.
Als er auf das Foto starrte, versuchte er sich an den Vornamen des Opfers zu erinnern. Wie hatte er ihn nur vergessen können? Er wusste, warum er ihn vergessen
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