Byrne & Balzano 02 - Mefisto
hatte. Sie war eine Drogenabhängige. Ein Mädchen aus der Mittelschicht, das auf die schiefe Bahn geraten war. In seiner Arroganz, seinem Ehrgeiz hatte er ihr gar keine Bedeutung beigemessen. Wenn sie die Anwältin eines noblen Unternehmens gewesen wäre oder Ärztin an der Universitätsklinik oder Architektin der Stadtplanungskommission, hätte er den Fall anders behandelt. Er würde es zwar sehr ungern zugeben, aber damals entsprach es leider der Wahrheit.
Byrne schlug die Akte auf und sah ihren Namen. Und jetzt fiel der Groschen.
Angelika. Sie hieß Angelika.
Sie war Angel Blue.
Byrne blätterte die Akte durch und fand schnell, was er suchte. Sie war nicht nur irgendeine Leiche, sondern natürlich auch die Tochter von jemandem.
Als er den Hörer abhob, schoss ihm bei jedem Klingelton die Frage durch den Kopf:
Wie wirst du bezahlen?
71.
Nigel Butler wohnte in einem schmucken Reihenhaus in der Zweiundvierzigsten Straße in der Nähe der Locust. Von außen sah es so aus wie die meisten gepflegten Reihenhäuser in Philadelphia: vor den beiden Fenstern zur Straße Blumenkästen, eine hübsche rote Tür, ein Messing-Briefkasten. Wenn die Detectives mit ihren Vermutungen richtig lagen, waren in diesem Haus zahlreiche entsetzliche Bluttaten geplant worden.
Angel Blue hieß mit bürgerlichem Namen Angelika Butler. Angelika war zwanzig Jahre alt, als sie in der Toilette der Tankstelle in Nord-Philadelphia gefunden worden war. Gestorben an einer Überdosis Heroin. So lautete jedenfalls die offizielle Todesursache.
»Ich habe eine Tochter, die die Schauspielschule besucht«, hatte Nigel Butler gesagt.
Die Aussage war richtig, aber die Zeit stimmte nicht.
Byrne sprach mit Jessica über die Nacht, als er und Phil Kessler den Anruf bekommen hatten, im Todesfall eines Mädchens zu ermitteln, das in Nord-Philadelphia in einer Tankstelle gefunden worden war. Jessica berichtete detailliert über ihre beiden Treffen mit Butler. Das zweite Treffen, als Butler zum Roundhouse gekommen war, um ihr Bücher zu bringen. Das andere Mal, als sie ihn in seinem Büro an der Drexel University besucht hatte. Sie erzählte Byrne von den zahlreichen großen Porträts, die Butler in seinen verschiedenen Rollen auf der Bühne zeigten. Nigel Butler war ein hervorragender Schauspieler.
Doch Nigel Butlers wahres Leben war viel dramatischer als die Rollen, die er auf der Bühne verkörperte. Ehe Byrne das Roundhouse verlassen hatte, hatte er Butler über PDCH überprüft, die Verbrecherdatei des Police Department. Gegen Nigel Butler war zweimal wegen Missbrauchs seiner Tochter ermittelt worden, einmal, als sie zehn, und ein anderes Mal, als sie zwölf war. In beiden Fällen wurden die Ermittlungen eingestellt, da Angelika ihre Vorwürfe widerrief.
Sie erfuhren auch, dass Butler vor sechs Jahren geschieden wurde und seine Frau Maureen das alleinige Sorgerecht für die gemeinsame Tochter erhalten hatte. Maureen Butler kam ein Jahr später bei einem Autounfall ums Leben. Obwohl Butler seine Tochter Angelika vermutlich missbraucht hatte, übertrug das Gericht dem Vater das Sorgerecht für die fünfzehnjährige Tochter.
Als Angelika in die Pornoszene abrutschte und dann auf diese unschöne Weise aus dem Leben schied, war Butler sicherlich vollkommen ausgerastet – aus Eifersucht, Wut, väterlicher Sorge, sexueller Besessenheit. Wer weiß? Jedenfalls konzentrierten die Ermittlungen der Sonderkommission sich jetzt auf Nigel Butler.
Trotz all dieser Indizienbeweise hatten sie nicht genug in der Hand, um einen Durchsuchungsbeschluss für Nigel Butlers Haus zu erwirken. Paul DiCarlo ging in diesem Augenblick eine Liste von Richtern durch, um dies zu ändern.
Nick Palladino und Eric Chavez beschatteten Butlers Büro an der Drexel University. An der Universität hatte man ihnen gesagt, dass Professor Butler eine dreitägige Reise mache und nicht erreichbar sei. Eric Chavez ließ seinen ganzen Charme spielen und erfuhr, dass Butler angeblich in den Poconos Mountains Kurzurlaub machte. Ike Buchanan hatte bereits mit dem Sheriff von Monroe County telefoniert.
Als Byrne und Jessica sich der Tür näherten, wechselten sie einen Blick. Wenn ihr Verdacht sich bestätigte, standen sie vor der Tür des Filmemachers. Wie würde diese Operation enden? Gewaltsam? Problemlos? Türen lieferten keine Hinweise. Sie zogen ihre Waffen, pressten sie an ihre Hüften und schauten die Straße hinauf und hinunter.
Es ging los.
Byrne klopfte an die Tür. Und wartete.
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