Byrne & Balzano 02 - Mefisto
auf lockeren, feuchten Boden, der kürzlich umgegraben worden war.
»Kevin.« Jessica lief auf Byrne zu und reichte ihm die Hand. Byrne war außer Atem und hatte sich die Finger an den spitzen Steinen aufgerissen.
Drei mit Spaten ausgerüstete Streifenpolizisten eilten herbei und begannen zu graben. Zwei Detectives, die Sekunden später eintrafen, unterstützten sie. Plötzlich stießen sie auf einen harten Gegenstand.
Jessica hob den Blick. In einer Entfernung von knapp zehn Metern sah sie in dem düsteren Licht der Laternen auf der I-95 einen verrosteten Güterwagen. Die beiden Wörter standen übereinander und waren durch die Stahlstreben auf den Güterwagen in drei Teile geteilt.
CANADIAN NATIONAL.
In der Mitte der drei Teile standen die Buchstaben ADI über den Buchstaben ION.
***
Die Sanitäter rannten zu dem Loch, hoben den kleinen Sarg heraus und brachen ihn auf. Aller Augen starrten auf den Sarg – nur Kevin Byrne wandte den Blick ab. Er konnte nicht hinsehen. Er schloss die Augen und wartete. Die Zeit erschien ihm wie eine Ewigkeit. Er hörte nur das Rattern eines Güterzugs in der Nähe, ein monotones Dröhnen in der Abendluft.
In diesem Augenblick zwischen Leben und Tod erinnerte Byrne sich an den Tag, als Colleen geboren wurde. Obwohl sie eine Woche früher als erwartet zur Welt kam, war sie ein richtiges Energiebündel. Byrne erinnerte sich an die winzigen, rosigen Fäustchen auf Donnas weißem Nachthemd. So winzig…
Als Kevin Byrne absolut sicher war, dass sie zu spät gekommen waren und dass sie Declan Whitestone nicht hatten retten können, öffnete er die Augen und hörte den wunderschönen Ton, der wie Musik in seinen Ohren klang. Ein leises Husten, dann der schwache Schrei, der gleich darauf einem lauten Jammern Platz machte.
Das Baby lebte.
Die Sanitäter brachten Declan Whitestone zu dem wartenden Rettungswagen. Byrne spähte zu Jessica. Sie hatten gewonnen. Diesmal hatten sie das Böse besiegt. Aber sie wussten beide, dass sie diese Spur keinen Datenbanken oder Berechnungstabellen oder Täterprofilen eines Kriminalpsychologen oder sogar den perfekt geschulten Spürnasen der Schäferhunde zu verdanken hatten. Diese Spur hatten sie einer Quelle zu verdanken, über die sie niemals sprechen würden.
***
Den Rest der Nacht verbrachten sie damit, den Tatort unter die Lupe zu nehmen, ihre Berichte zu schreiben und ein paar Minuten zu schlafen. Um zweiundzwanzig Uhr hatten die Detectives eine Sechsundzwanzig-Stunden-Schicht hinter sich.
Jessica saß am Schreibtisch und beendete ihren Bericht. Als Leiterin der Sondereinheit fiel auch das in ihre Verantwortung. Noch nie im Leben hatte Jessica sich so erschöpft gefühlt. Sie freute sich auf ein heißes Bad und vierundzwanzig Stunden Schlaf. Insgeheim hoffte sie, dass ihr keine Albträume eines Babys in einem kleinen Kiefernsarg den Schlaf raubten. Jessica hatte Paula Farinacci, ihre Babysitterin, zwei Mal angerufen, um sich nach ihrer Tochter zu erkundigen. Sophie ging es gut. Es war alles in Ordnung.
Stephanie Chandler, Erin Halliwell, Julian Matisse, Darryl Porter, Seth Goldman, Nigel Butler.
Und Angelika Butler nicht zu vergessen.
Würden sie jemals genau erfahren, was am Set von Philadelphia Skin vorgefallen war? Ein Mann könnte es ihnen sagen, doch die Chance, dass Ian Whitestone sein Wissen mit ins Grab nehmen würde, war groß.
Als Byrne um halb elf zur Toilette ging, legte jemand eine kleine Schachtel Hundekuchen auf seinen Schreibtisch. Als er zurückkehrte und sein Blick darauf fiel, musste er herzhaft lachen.
In diesem Dienstraum hatte schon lange keiner mehr das herzhafte Lachen von Kevin Byrne gehört.
77.
Logan Circle ist einer der fünf ursprünglich von William Penn angelegten Plätze. Am Benjamin Franklin Parkway gelegen, stehen hier einige der bedeutendsten Einrichtungen der Stadt: das Franklin Institut, die Akademie der Naturwissenschaften, die Stadtbibliothek und das Kunstmuseum.
Die drei Figuren des Swann Fountain in der Mitte des runden Platzes versinnbildlichen die drei wichtigsten Wasserstraßen der Stadt: den Delaware River, den Schuylkill River und den Wissahickon Creek. Das Gebiet unter dem Platz war einst ein Friedhof.
Man weiß nie, was sich hinter einer Sache verbirgt.
Heute tummeln sich rund um den Brunnen scharenweise Menschen, die das herrliche Sommerwetter genießen, darunter auch Fahrradfahrer und Touristen. Der strahlend blaue Himmel lässt das Wasser wie Diamanten funkeln. Kinder toben durch
Weitere Kostenlose Bücher