Byrne & Balzano 02 - Mefisto
müsste, blieb abzuwarten.
***
Mateo rief die Detectives in die Audio-Videoabteilung. Er hatte die ersten zehn Sekunden des Videos Bild für Bild digitalisiert. Er hatte ebenfalls die Audiospur getrennt und bereinigt. Zuerst spielte er den Ton vor. Es waren nur fünf Sekunden.
Es begann mit einem lauten Zischen, das zuerst intensiver wurde und dann verklang. Allem Anschein nach war das Mikrofon von der Person, die die Kamera geführt hatte, ausgeschaltet worden, als die Aufnahme begann.
»Spielen Sie das noch mal ab«, sagte Byrne.
Es hörte sich nach einem kurzen Luftzug an. Dann das weiße Rauschen elektronischer Stille.
»Noch einmal.«
Wie gebannt lauschte Byrne dem Geräusch. Mateo schaute ihn an, ehe er die Videospur abspielte. »Okay«, sagte Byrne schließlich.
»Ich glaube, hier haben wir etwas«, sagte Mateo. Er klickte sich durch die einzelnen Frames. Als er das Bild fand, das er gesucht hatte, vergrößerte er es. »Dieses Bild erscheint nach etwa zwei Sekunden. Das Bild ist entstanden, ehe die Kamera nach unten geschwenkt wurde.« Mateo verbesserte die Bildqualität ein wenig. Es war scheinbar nichts zu erkennen. Ein weißer Fleck vor einem rötlich braunen Hintergrund. Abgerundete geometrische Figuren. Ein sehr unscharfes Bild.
»Ich erkenne nichts«, sagte Jessica.
»Warten Sie mal.« Mateo ließ das Bild durch ein weiteres Bildverbesserungsprogramm laufen und holte es näher heran. Nach ein paar Sekunden wurde es etwas klarer, aber nicht klar genug, um irgendetwas erkennen zu können. Mateo holte das Bild noch näher heran und verbesserte die Bildqualität erneut. Jetzt konnte man etwas erkennen. Sechs Großbuchstaben. Alle weiß. Drei oben und drei unten. Es schien sich um folgende Buchstaben zu handeln:
ADI ION
»Was soll das heißen?«, fragte Jessica.
»Weiß ich nicht«, erwiderte Mateo.
»Kevin?«
Byrne schüttelte den Kopf und starrte auf den Monitor.
»Was meint ihr?«, fragte Jessica die anderen anwesenden Detectives. Allgemeines Schulterzucken.
Nick Palladino und Eric Chavez setzten sich beide vor einen Computer und versuchten angestrengt, die Bedeutung dieser Buchstaben zu entschlüsseln. Es dauerte nicht lange, bis sie beide Treffer erzielten. Das Ergebnis ihrer Recherche lautete: ADI 2018 Process Ion Analyzer, was allerdings niemandem etwas sagte.
»Sucht weiter«, sagte Jessica.
***
Byrne starrte auf die Buchstaben. Sie kamen ihm bekannt vor, doch er wusste nicht, woher. Noch nicht. Plötzlich weckten die Buchstaben vage Erinnerungen. ADI. ION. Bilder aus längst vergangenen Kindheitstagen wurden wachgerufen. Er schloss die Augen und…
… hört, wie Stahl aufeinanderschlägt … er ist acht Jahre alt … er rennt mit Joey Principe aus der Reed Street um die Wette… Joey ist schnell… Byrne kann kaum mit ihm Schritt halten … er riecht die Dieselabgase, die eine Windbö über den Platz weht… ADI… der Staub eines Julinachmittags steigt ihm in die Nase… ION… hört die Kompressoren, die die Druckbehälter mit Druckluft füllen…
Er öffnete die Augen.
»Spielen Sie mir den Ton noch einmal vor«, sagte Byrne.
Mateo spulte zurück und drückte auf PLAY. Das Geräusch zischender Luft erfüllte den kleinen Raum. Aller Blicke wandten sich Kevin Byrne zu.
»Ich weiß, wo er ist«, sagte er.
***
Der Güterbahnhof in Süd-Philadelphia war auf einem riesigen, düster anmutenden Gelände am südöstlichen Stadtrand untergebracht und grenzte an den Delaware River und die I-95, im Westen an die Schiffswerften der Marine und im Süden an League Island. Hier war der Umschlagplatz für die Unmenge an städtischen Frachtgütern, während Amtrak und SEPTA das große Aufkommen an Reisenden am Bahnhof in der Dreißigsten Straße in alle Richtungen schleusten.
Byrne kannte den Güterbahnhof in Süd-Philadelphia sehr gut. In seiner Kindheit traf er sich mit seinen Freunden auf dem Greenwich Playground, und dann fuhren sie mit den Rädern zum Güterbahnhof. Meistens trieben sie sich kurz auf League Island an der Kitty Hawk Avenue herum und fuhren anschließend zum Güterbahnhof. Sie hatten ganze Tage dort verbracht und die ankommenden und abfahrenden Züge beobachtet, die Güterwagen gezählt und Steine in den Fluss geworfen. In seiner Kindheit war der Güterbahnhof in Süd-Philadelphia Kevin Byrnes Omaha Beach, seine Marslandschaft, sein Dodge City, ein Ort, der in seinen Augen tausend Geheimnisse barg und wo Wyatt Earp, Tom Sawyer, Eliot Ness und andere Filmhelden
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