Byzanz
und Tränen betete Demetrios zum lieben Gott, dass er ihn von der Erde vertilgen möge, um dafür seinem Bruder das Leben zu erhalten. Er bot Gott alles an, was er anzubieten vermochte, weil es das Einzige war, das ihm wirklich gehörte: sein Leben. Nicht den Bruder, sondern ihn, Demetrios, den Nichtsnutz solle er hinfortnehmen. Ein fairer Tausch war das, befand er, sein unnützes Dasein gegen das nützliche Leben seines Bruders. Und das Schlimmste war, dass Nikephoros in diesem Moment das Gleiche dachte und Demetrios die Gedanken des Vaters förmlich lesen konnte.
Das Brüllen des Vaters und das Schreien des Sohnes hatten Thekla und Eirene in die Halle gerufen. Sie trauten ihren Augen nicht, als sie den sinnlosen Ausbruch der Gewalt entdeckten. So hatte Thekla ihren Mann noch nie erlebt, so außer sich, so brutal, er, der eine wahre Meisterschaft entwickelt hatte, seine Reaktionen unter Kontrolle zu halten. Sie versuchte, Nikephoros von Demetrios wegzuzerren, doch sie hatte keine Chance gegen den wütenden Stier. Eirene zwängte sich zwischen Sohn und Vater.
Nikephoros wollte gerade wieder zuschlagen, bremste jedoch seine Faust, bevor sie Eirene traf. Sie sahen einander in die Augen. Es war nicht mehr Hass, nicht Brutalität, was sie in seiner Iris wahrnahm, sondern nur eine abgrundtiefe Angst, die Angst eines Kindes. Diese Furcht im Blick des gestandenen Mannes wahrzunehmen erschütterte sie und erfüllte sie mit der Vorahnung eines großen Unglücks. Ihr wurde plötzlich kalt ums Herz. Wie aus einer Trance erwacht, blickte Nikephoros unsicher um sich.
»Was tust du!«, brüllte ihn Thekla fassungslos an.
»Er schwänzt die Schule, er belügt uns, um zu diesem Mönch in die Zelle zu gehen. Statt Sprachen und Rechnen und Denken lernt er Malen!« Aber das brachte Nikephoros schon kraftlos, beinah versöhnlich hervor. Er wischte sich den Schweiß ab.
Thekla schüttelte den Kopf, denn das, was sie gesehen hatte, erschien ihr wie ein Albtraum. »Dann hat er Strafe verdient, aber nicht so, nicht diese. Das ist doch kein Grund, sein eigen Fleisch und Blut totzuschlagen!«
Doch dann gewann die Verzweiflung wieder die Oberhand in Nikephoros. Leer starrte er vor sich hin, wie jemand, der die Welt nicht mehr verstand. »Der da panscht mit Farben, während sein Bruder wohl gerade geköpft wird.« Er wankte. Mit einem Mal verließen ihn alle Kräfte, er stürzte wie ein alter Baum und weinte hemmungslos wie ein kleines Kind. Der Verlust des Sohnes schien den Vater in ihm zurückzunehmen.
Eirene hatte das Gefühl, dass ihr Herz erstickte, als sie mühsam aus ihrem Schwiegervater herausbekam, in welcher Lage sich Loukas befand.
Mithilfe der Diener brachten die beiden Frauen Demetrios zu Bett und schickten nach der Ärztin Martina Laskarina, denn sie fürchteten, dass kein Knochen im Körper des Jünglings heil geblieben war. Sein linkes Auge schwoll zu.
Aber das war nicht das Schlimmste für Demetrios, das Schlimmste für Demetrios bestand darin, dass er seinen Vater verloren hatte.
38
Residenz des Sultans, Edirne
Während in Konstantinopel Eirene vergebens versuchte, Eudokimos zu überreden, sie nach Edirne zu begleiten, zerbrach sich Loukas in seinem immerhin luxuriösen Gefängnis im Palast den Kopf darüber, wie er den Sultan und Halil Pascha von seiner Unschuld überzeugen könnte. Seit zwei Tagen hielt man ihn bereits fest, ohne dass er Besuch bekommen hätte. Schließlich wurde er mitten in der Nacht geweckt. Bewaffnete führten ihn zunächst durch die Flure des Palastes, die nur von ein paar Öllämpchen notdürftig beleuchtet wurden, dann in den Garten, der sich mit den vielfältigen Wasserspielen unter einem großen Sternenhimmel ausbreitete. Es roch nach Wachholder.
Sah so das Ende aus? Man führte ihn in einen kleinen Pavillon. Im Halbdunkel nahm er eine Gestalt wahr, die auf ihn zu warten schien.
Der Mann winkte ihn heran. Beim Näherkommen erkannte Loukas, dass auf dem Diwan Halil Pascha saß. Der Türke lud ihn ein, neben ihm Platz zu nehmen.
»Wie konntet Ihr nur so etwas Dummes tun?«
»Ich wusste wirklich nichts davon!«
»Selbst wenn ich Euch das glaube, verbessert das Eure Situation nicht, weil der Sultan dem Kaiser eine eindeutige Botschaft schicken muss – schon um sein Gesicht zu wahren. Und Ihr seid nun mal der Botschafter des Kaisers – unabhängig davon, ob Ihr davon wusstet oder nicht.«
Loukas konnte förmlich hören, wie seine Hoffnung, dem Tod zu entgehen, platzte. »Heißt das,
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