Byzanz
gingen in die gerundeten, doch nicht vollen Wangen über wie eine Ebene, die sich sanft zum Meer neigte. Eine Schönheit, die auch abstieß und doch wieder das Verlangen antrieb.
»Wer bist du?«, fragte Alexios.
»Was sind schon Namen? Sie lügen doch alle mit der Wahrheit und sprechen wahr in der Lüge. Nimm an, dass ich aus Babylon stamme.«
»Ein Chaldäer, also. Ein Zauberer? Ein Wahrsager?«
Der Hermaphrodit hob abwehrend die Hände. »Glaubst du, ich sei eine Jahrmarktsfigur? Ich habe viele Welten gesehen, und viele Existenzen sind in mir. Alle, die etwas wollen, gehen in mich hinein. Wie könnte ich da eindeutig sein? Aber denke nicht darüber nach, tapferer Alexios, philosophieren war noch nie deine starke Seite. Genug, ich bin kein Magier, keiner, der in die Glaskugel schaut oder aus den Linien der Hand oder dem Flug der Vögel die Zukunft voraussagt. Ich bin nur der, der dir sagt: Der Kaiser, den Konstantinopel braucht, will es nicht untergehen, bist du.«
Die Prophezeiung traf Alexios wie ein Beil. »Kennst du etwa die Zukunft?«
»Nein, ich weiß nur, was notwendig ist. Um das Reich der Rhomäer wieder aufzurichten, bedarf es eines Kaisers, der beide Schwerter gleichermaßen gut zu führen weiß, das Schwert der Diplomatie und das Schwert des Krieges. Er muss jung sein und unverbraucht und kräftig. Die Macht will geritten sein, verstehst du?«
Alexios wunderte sich, dennoch argwöhnte er, in eine Falle gelockt zu werden. Vielleicht hatte Johannes ihm diesen Wundermann entgegengeschickt, um seine Loyalität auf die Probe zu stellen.
»Ich diene dem Kaiser Manuel und dem Herrn Johannes, der, so Gott will, über uns herrschen wird«, sagte er mit fester Stimme.
Der Hermaphrodit kicherte. »Sicher tust du das. Doch Bescheidenheit kann Hochmut bedeuten und Treue Verrat. Auch durch deine Adern fließt kaiserliches Blut. Die Angeloi haben die Krone den Komnenen genommen, die Lateiner den Angeloi, und den Lateinern wurde sie von den Palaiologen in blutigen Schlachten entwunden. Aber die Palaiologen sind schwach, verweichlicht, am Verdorren. Manuel bevorzugt Johannes, den er zum Nachfolger bestimmt hat, doch man braucht kein Hellseher zu sein, um zu wissen, dass nach Manuels Tod Johannes’ Brüder – Demetrios, Thomas, Konstantin und Theodor – mit Sicherheit ein Wort über die Thronfolge mitreden wollen. Streiten sie aber, dann kommt es nur noch auf deine Geschicklichkeit an, ordentlich Öl ins Feuer zu gießen, die Krone ihren streitenden Händen zu entwinden und dir selbst aufs Haupt zu setzen.«
Mit diesen Worten erhob sich das Wesen und ging auf Alexios zu. Es kniete sich zu ihm und drückte ihm etwas Kühles, Metallenes in die Hand, dann nahm es seinen Kopf in die Hände wie in einen Schraubstock und küsste ihn, wobei es ihm kalt und unsagbar schön in die Augen schaute. Ekel und Verlangen kämpften in Alexios miteinander. Er vermochte dem Blick des Wesens nicht standzuhalten, also schloss er die Lider. Der Kuss aber ging ihm durch und durch, er nahm ihm den Atem und entfesselte Wut in ihm, unbeherrschbare Wut und zugleich Kraft, er streichelte und er züchtigte ihn. Das Wesen rief mit seiner Zungenspitze Bilder in ihm hervor.
Als er dem Türken die Schlagader aufgeschnitten und ihm beim Sterben zugesehen hatte, war er plötzlich Herr über den Tod gewesen. Nun verhieß ihm der Hermaphrodit die Macht über das Leben. Das war weitaus schwieriger. Doch dann spürte er, wie sich ihre Zungen in einer wilden Lust gegenseitig vorantrieben, sich dabei von den Lippen abstießen wie Tänzer vom Boden. Das hatte er noch bei keiner Frau empfunden, ganz gleich wie und wo sie ihn küsste. Und wie konnte er auch? Es war der Kuss der Macht, den er empfing. Das fremde Wesen drang in ihn ein, Schmerz und Lust mischten sich, dann glaubte er, wie der Weltenherrscher auf die Welt herabzusehen, die für ihn nur aus Schleiern bestand, weißen, gelben, grünen, blauen, braunen, schwarzen und roten …
Als Alexios die Augen wieder öffnete, saß er allein auf dem Boden des toten Waldes, kein Feuer vor ihm, kein Dreifuß, kein Kessel, auch kein Hermaphrodit, überhaupt niemand. Nicht einmal eine Spur von ihnen. In seiner geschlossenen Hand spürte er einen kühlen Gegenstand und öffnete die Faust. Auf seinem Handteller lag ein Ring, ein großer in Gold gefasster Rubin. Der Edelstein leuchtete blutrot.
Alexios wusste, was das zu bedeuten hatte. Er fuhr sich mit der Hand übers Gesicht. Der Ring bewies, dass er
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