Byzanz
Nikephoros Karten vom Westen und Bücher über die Reiche der westlichen Könige und für den Bruder geschnitzte Pferdchen mit Kutschen und bemalte Tonfiguren.
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Im Wald nahe Bursa, Anatolien
Blutverschmiert erreichte Alexios ein Waldstück. Behutsam löste er die Stricke, mit denen er den Leichnam von Xavier del Mar festgebunden hatte. Dann hob er seinen Waffenmeister fast zärtlich vom Pferd und bettete ihn auf den laubbedeckten Waldboden. Dem türkischen Traber nahm er Sattel und Zaumzeug ab und schlug dem Tier auf den Hintern, um es zu vertreiben. Wiehernd galoppierte es auf dem Weg in Richtung Bursa davon. Alexios sah ihm kurz nach und warf einen Blick auf die beiden übrigen Pferde, die er an einen Baum gebunden hatte.
Mit dem Schwert des Waffenmeisters und den bloßen Händen grub er in die nasskalte Erde ein Grab, das er mit Pinienzweigen und Grasnarben auspolsterte. Xavier del Mar, der jetzt tot vor ihm lag, hatte ihn seit nunmehr zwanzig Jahren – seit seinem sechsten Geburtstag – in den Waffenkünsten und im Reiten unterrichtet. Alles, was er auf diesem Gebiet konnte, hatte er von diesem Mann gelernt. Der Katalane war es gewesen, der ihn in den Ehrenkodex der Ritter eingewiesen hatte, auch wenn Alexios die tiefe Religiosität, mit dem der Waffenmeister seinem Handwerk nachging, nicht teilte. Xavier del Mar hatte ihm einst erklärt, was ein Ritter sei, und seine Erläuterung mit den Worten beschlossen: »Deshalb gab man diesen Männern dann den Namen Ritter – ein Name, mit dem man die geglückte Verbindung des edelsten Tieres mit dem edelsten Mann meinte.«
Xavier del Mar aus Berga, den es als junger Ritter vom Fuße der Pyrenäen nach Konstantinopel verschlagen hatte, war für Alexios der Inbegriff eines Edelmannes gewesen. Keinem Kampf war der Katalane ausgewichen, solange es sich dabei nicht um einen Meuchelmord handelte. Stets hatte Alexios den Waffenmeister, der ein Kämpfer, aber kein Politiker gewesen war, für seine Gradlinigkeit bewundert.
»Adios, mi querido caballero, Señor Xavier del Mar« , murmelte er. Mehr vermochte er mit fester Stimme nicht hervorzubringen, denn er hatte diesen Mann mehr geliebt als seinen Vater. Gern hätte er den Toten mit nach Konstantinopel genommen und ihn dort in der Kirche der heiligen Maria von Blachernae aufgebahrt, getrauert, wie es sich gehörte. Aber wie sollte er, ohne Aufsehen zu erregen, einen Leichnam quer durch von Türken kontrollierte Gebiete nach Hause bringen? Und so würde kein Kreuz je an Xavier del Mar erinnern, nur die kräftige Pinie, die sich über seinem Grab erhob. In fremder Erde würde er zu Staub.
Tief erschüttert sprach Alexios ein kurzes Gebet. Den Schmerz des Verlustes hatte er noch nie zuvor empfunden. Und dieser kam in Wellen, er überfiel ihn wie ein unersättliches Tier, das immer wiederkehrte, um ihm seine Zähne ins Herz zu schlagen. Zugleich spürte er eine Taubheit. Es war, als würde er einen Teil seiner selbst bestatten.
Er füllte das Grab mit Erde und musste sich von dem tristen Ort geradezu losreißen. Es war Zeit, den Rückweg nach Konstantinopel anzutreten. Sicher hatte man die erschlagenen akindschi bereits entdeckt und die Suche nach den Mördern aufgenommen. Nachdem er einen Baumstamm auf das Grab gewälzt, sich in einer schlammigen Quelle das Blut abgewaschen hatte, wodurch er im Grunde nur den eingetrockneten Lebenssaft mit Dreck vertauschte, stieg er auf sein Pferd und jagte durch das Olympos-Gebirge zur Küste. Für Konstantinopel ergab sich ein einzigartiges Bündnis, das über kurz oder lang dazu führen konnte, die Herrschaft der Osmanen in Zwietracht und inneren Hader zu stürzen, damit das Reich der Rhomäer in alter Größe wiederauferstehen würde. Alexios zweifelte nicht daran, dass der Kaiser in Konstantinopel der Nachfolger der römischen Herrscher war, deshalb nannten sie sich auch Römer, auf Griechisch: Rhomäer. Einst hatten sie alle Länder, die am Mittelmeer lagen, beherrscht, Anatolien und Syrien, Ägypten und die Gegend um Tunis, Spanien und Italien und den ganzen Balkan, einst regierte der römische Kaiser die Welt, und so sollte es nach dem Willen des Fürsten Alexios Angelos auch wieder kommen. Für dieses Ziel schlug sein Herz. Seine Mission hielt er für geglückt, aber der Preis schmerzte.
Auf der Straße von Kios nach Pylai geriet er im Gebirge in dichten Nebel und verirrte sich. Er musste schon eine gute Weile vom rechten Weg abgekommen sein, als sich die breite Straße
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