Byzanz
verjüngte, sich plötzlich bergaufwärts wand und schließlich an einer kleinen Lichtung vorbeiführte, von der es nur noch zu Fuß weiterging. Obwohl es ratsam gewesen wäre umzukehren, trieb es Alexios, zu erkunden, wohin der Pfad führte. Er band die Pferde an einen Baum und setzte seinen Weg zu Fuß fort.
Der Pfad wurde steiler und verengte sich immer mehr zu einer steinernen Rinne. Das Vogelgezwitscher, das er noch dann und wann gehört hatte, erstarb schließlich. Auf dem Gipfel standen turmhohe Libanonzedern, traurig, kahl, nimmergrün. Der Fürst, kein Feigling, spürte einen unangenehmen Druck auf seinem Herzen und in seiner Lunge. Nichts Lebendes, kein Vogel, nicht einmal Spuren von Tieren entdeckte er. Der Ort ist verflucht, ging es ihm durch den Kopf. Schlimme Dinge schienen an diesem Platz geschehen zu sein, so furchtbar, dass die Bäume darüber ihr Laub verloren hatten. Dann entdeckte er Rauch, zog sein Schwert und ging langsam und sehr konzentriert in die Richtung, aus der die Wölkchen aufstiegen.
An einer Feuerstelle saßen zwei in graue, schmutzige Wolldecken gehüllte Wesen. Über dem Feuer hing ein Kessel in einem Dreifuß aus starken Ästen. In einer Sprache, die er weder verstand noch jemals zuvor vernommen hatte – also weder Griechisch, Italienisch, Lateinisch, Spanisch, Französisch, Türkisch noch Arabisch –, sagte die eine Gestalt etwas zu der anderen, die sich darauf wieselflink erhob und im Wald der toten Zedern verschwand. Die Sprache beeindruckte Alexios, denn sie klang sehr alt, fast wie eine Beschwörung.
»Setz dich zu mir«, sagte das eingemummte Wesen nun auf Griechisch. Der Klang der Stimme ließ auf eine Frau schließen, obschon auch ein männliches Timbre mitschwang. »Denk nicht darüber nach, ob ich ein Mann oder eine Frau bin. Weder bin ich das eine noch das andere, und auch nicht beides zusammen und doch, wie du siehst, eins. ›Nicht hob sie vom Boden Gefieder; dennoch schwebten sie frei mit hell durchscheinenden Flügeln … Häuser bewohnen sie stets, nicht Wälder, und hassend die Helle, fliegen sie nachts und werden genannt nach dem Flattern am Abend.‹« Das Wesen kicherte boshaft. Alexios überfiel eine lähmende Unentschlossenheit. Die Gestalt winkte mit einer grazilen Frauenhand.
»Setz dich einfach zu mir, und hab keine Angst. Du wärest schon so tot wie die Bäume, wenn ich dein Ende beschlossen hätte. Ich wusste ja, dass du kommst, Alexios Angelos. Und steck das Schwert ein, du könntest damit noch jemanden verletzen.«
Erstaunt folgte der Fürst der Anweisung des Wesens, das er für einen Hermaphroditen hielt, und ließ sich ihm gegenüber nieder. Nie zuvor war er einem begegnet. Er kannte nur die Sage, nach der sich die Nymphe Salmakis einst in einen Jüngling verliebt hatte, der ihre Gefühle jedoch nicht erwiderte. Sie umschlang ihn mit ihrem Körper und flehte die Götter an: »Möge jenen von mir kein Tag, kein Tag mich trennen von jenem.« Und so kam es, dass sie zu einem Wesen verwuchsen. Alexios hatte gehört, dass ein Hermaphrodit gegen den Tod gefeit war und selbst unbeschadet in die Unterwelt hinabsteigen konnte, weil ihm die Totengötter nichts anzuhaben vermochten, denn er war weder Mann noch Frau und so undefiniert, ambivalent, keines von beiden. So hatten weder Tod noch Teufel, auch kein Basilisk über ihn Gewalt, denn er zeugte sich stets neu aus sich selbst heraus, war Ursache, Quell und Ergebnis des Lebens. Es gab Gelehrte, die den Hermaphroditen für vollkommen hielten, weil er Mann und Frau in einem verkörperte und dadurch das Ganze, das Ungeteilte symbolisierte. Andere sahen wiederum in ihm ein Geschöpf des Teufels, noch andere beides, für die vollkommene Legierung, den tiefsten Dämmer, den exakten Punkt des Überganges, den Atemhauch, der zwischen dem Nichtmehr und dem Nochnicht hin und her weht.
Der Hermaphrodit ließ seine Decke über den Rücken hinuntergleiten. Ein Gewand aus tiefblauem Damast kam zum Vorschein, das goldene Sterne und Sonnen und Monde verzierten. Eine rote Kappe bedeckte vermutlich eine Glatze. Alexios konnte zumindest keine Haare entdecken, weder Bart noch Bartstoppeln, noch Augenbrauen oder Strähnen, die unter der Kappe hervorlugten. Alles wirkte auf eine seltsam übernatürliche Weise fein an ihm. Das Gesicht des Wesens wirkte elfenhaft mit den mandelförmigen Lidern, der zarten Nase, die schlank auf den wohlgeformten Mund verwiesen. Die Jochbeine kuschten vor den Augen, der hohen Stirn und
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