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Byzanz

Byzanz

Titel: Byzanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fleming
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Konstantinopel
    Nach der beeindruckenden Audienz beim Kaiser, in der Loukas im Beisein seines Vaters Nikephoros Notaras zum Kapitän der kaiserlichen Marine ernannt worden war, warteten sie lange im Vestibül des Palastes, weil Manuel II. die beiden Männer noch persönlich zu sprechen wünschte. Schließlich holte sie ein Diener ab und führte sie über mehrere Treppen, durch kleinere Räume und verwinkelte Gänge zum Geheimen Beratungssaal.
    »Merk dir den Weg, Loukas. Und vor allem eines: Zu jeder Hintertür in diesem Palast gibt es wieder eine Hintertür. Wir wären keine Griechen, wenn es anders wäre«, flüsterte Nikephoros, der dem Kaiser auch als Dolmetscher und Berater diente.
    Doch der frischgebackene Kapitän der kaiserlichen Marine hörte ihm nur halb zu, denn er musste all seine Selbstbeherrschung aufbieten, um nicht, von einer Welle des Glücks mitgerissen, plötzlich zu springen, zu laufen und zu jubeln. Nur wenige Menschen im Reich, zwei Hände voll, hatten je von der Existenz des Geheimen Beratungssaals gehört, geschweige denn, ihn gesehen! Sein neuer Rang verlangte von ihm, Würde auszustrahlen, denn die gesamte Hierarchie – vom Kaiser angefangen bis hinunter zum Schreiber – beruhte auf dem Selbstbewusstsein eines alten Reiches und seiner unvergänglichen Institutionen, die Gott durch den Heiligen Geist schuf. Loukas war mit dem Glauben aufgewachsen, dass, so wie die Sonne und die Planeten sich um die Erde drehten, das Leben der Byzantiner auch als Rotation der Untertanen um den Kaiser verstanden werden musste.
    Jedem war durch Geburt und Leistung sein Platz und seine Aufgabe zugewiesen in diesem großen Schauspiel, das man Leben nannte, und wie Planeten wurden die Menschen, auf Kristallschalen fixiert, auf vorgegebenen Bahnen getragen. Häufig bekleideten Männer aus dem Adel oder aus reichen Familien neben ihrem alltäglichen Leben ein Amt in der Armee oder in der Marine, um im Kriegsfall oder in einer anderen Angelegenheit dem Kaiser zu dienen. Das verpflichtete sie auch, Kämpfer oder – wie im Falle des Kapitäns – Schiffe und Seeleute zu stellen. Dafür gehörten sie zum Hof des Kaisers und erhielten die Möglichkeit, sich politisch, vor allem aber wirtschaftlich im großen Stil zu entfalten. Im Grunde ließen sich die beiden Bereiche nicht trennen.
    Der Geheime Besprechungssaal enttäuschte Loukas in seiner Nüchternheit. Repräsentatives Schmuckwerk suchte man hier vergebens. Er staunte über ein hölzernes Modell der Stadt, das die Mitte des Raums beherrschte. Am Fenster entdeckte er einen Mann mit hängenden Schultern, der zu den Hügeln der Stadt hinüberschaute und in dem er den Kaiser erkannte. Neben ihm stand sein Sohn und Mitkaiser Johannes und sprach auf ihn ein. Die beiden Ankömmlinge wollten sich auf den Boden werfen, doch der Kaiser winkte ab.
    »Lasst, wir treffen uns gewissermaßen privat.«
    Wieder warf Manuel einen melancholischen Blick aus dem Fenster und blieb an den Kuppeln der Kirche des Chora-Klosters hängen. »Meine Vorfahren herrschten über ein Reich, das sich von Spanien bis Persien, von der Donau bis nach Afrika erstreckte – und ich, ich bin nur Herr über eine Stadt, ein paar Besitztümer in Griechenland, ein paar Inseln!«, murmelte er. Er wandte sich den beiden Notaras zu, und Johannes tat es seinem Vater gleich. Der Sohn überragte den Kaiser um einen halben Kopf.
    »Das Reich ist alt und ewig, und Ihr seid der Herr der Welt!«, sagte Loukas ehrfürchtig.
    »So heißt es, ja«, erwiderte der Kaiser. Dann schwieg er eine Weile, als denke er über eine schwierige Frage nach. Schließlich heftete er seine dunklen Augen auf Loukas. »Aber sag mir, junger Notaras, was glaubst du: Lebt unsere Reichsidee noch, oder modert sie bereits, und wir haben es nur nicht gemerkt? Man sagt von Ertrinkenden, dass im Augenblicke des Todes ihr ganzes Leben an ihnen vorüberzieht. Sind wir diese Ertrinkenden, und ist das, was wir Leben nennen, am Ende nur eine Erinnerung an unwiederbringlich Vergangenes? Erlischt unsere Sendung? Klammern wir uns an etwas, das nicht mehr in Gottes Absicht steht? Kommen jetzt neue Mächte? Neue Herren?«
    »Wie kannst du das auch nur denken, Vater!«, rief Johannes empört.
    »Lass den Kapitän antworten. Er ist in der Welt herumgekommen. Anderswo leben die Menschen anders. Warum glauben wir, dass ausgerechnet wir recht haben?«, hielt der Kaiser mild, aber bestimmt dagegen und strich sich mit der Rechten bedächtig über den langen

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