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Byzanz

Byzanz

Titel: Byzanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fleming
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herausgekommen ist. Wir sollten auf ihre Hilfe hoffen, nicht aber auf sie rechnen.«
    »Sie sind Christen. Sie müssen uns gegen die Ungläubigen beistehen!«, warf Johannes ein.
    Der Kaiser überging den Einwand seines Sohnes und griff seinen Gedanken wieder auf. »Sollten wir besser engeren Kontakt zu den Türken suchen, Loukas Notaras?«
    Loukas dachte nach. Die Macht der Osmanen wuchs stetig, und nichts deutete darauf hin, dass sich das ändern würde. Sie hatten mit ihren Besitzungen Konstantinopel eingekreist. Ihnen gehörten große Teile Anatoliens und Rumeliens, wie sie den europäischen Teil des Osmanischen Reiches nannten. Sultan Mehmed I. und Kaiser Manuel verstanden sich inzwischen recht gut. War der Spatz in der Hand besser als die Taube auf dem Dach? Schwer zu sagen.
    »Sie sind Ungläubige«, antwortete Loukas ausweichend.
    »Ja, und ich habe sie im Feldlager damals auch gefragt, was Muhammad Neues gebracht hat. Und ihnen bewiesen, dass er nur Schlechtes und Menschenfeindliches gestiftet hat, denn er predigte, dass der Glaube durch Gewalt, durch Krieg, durch das Schwert zu verbreiten ist. Aber Gott hat kein Gefallen am Blut, und nicht vernunftgemäß zu handeln ist dem Wesen Gottes zuwider. Der Glaube ist Frucht der Seele, nicht des Körpers. Nicht der Körper muss bedrängt oder geschunden, sondern die Seele muss überzeugt werden. Wer also jemanden zum Glauben führen will, braucht die Fähigkeit zur guten Rede und ein rechtes Denken, nicht aber Gewalt und Drohung. Das ist wahr. Wahr ist aber auch, dass sie unsere Nachbarn sind und leider sehr mächtig.«
    »Auf Gnade können wir nicht rechnen«, erklärte Loukas. »Weder von den Lateinern, die uns schon einmal überfallen und ausgeplündert haben, noch von den Türken, die unseren Glauben vernichten wollen. Versuchen wir also kühl, mit beiden gute Beziehungen zu unterhalten und zu unserem Nutzen beide Kräfte in Balance zu halten.«
    »Wie willst du das anstellen, Kapitän?«
    »Durch Handel! Schmieden wir Handelsallianzen. Am Ende interessiert man sich zuallererst für den Gewinn. Das Reich wird zu neuer Macht aufsteigen, wenn wir es auf dem Meer errichten.«
    »Sollen wir vielleicht eine Nation von Pfeffersäcken werden? Unter die Wechsler gehen, die Jesus aus dem Tempel vertrieben hatte?«, empörte sich Johannes, dessen brauner Teint vor Erregung leicht ins Rötliche spielte. Violett leuchteten seine Ohren unter den dichten schwarzen Locken hervor. Sein Interesse an dem Flottenkommandeur erlosch.
    Der Kaiser stöhnte leise auf. »Das Reich auf dem Meer erneuern, keine schlechte Idee. Aber dafür benötigen wir eine große und starke Flotte. Und eine große und starke Flotte zu bauen kostet viel Geld, das wir nicht haben. Dennoch ist die Idee richtig. In dir steckt mehr als nur ein Seemann, Loukas Notaras. Ich werde es wohl nicht mehr ins Werk setzen, aber Johannes, mein Sohn, Mitkaiser und Nachfolger. Ihr seid jung, es ist euer Leben, und schon bald wird das Schicksal des Reiches in euren kräftigen Händen liegen. Ich wollte, dass ihr euch kennenlernt. Diene meinem Sohn, wie du mir dienst, Kapitän, und sei geduldig«, sagte Manuel und hob die Hand zum Zeichen, dass für ihn das Gespräch beendet war.

6
    Im Stadtteil Vlanga, Konstantinopel
    Weitab vom Palast streunte als junger Mann verkleidet die Enkelin des Kaisers, Eirene Palaiologina, durch den Stadtteil Vlanga, der vom Blachernae aus gesehen am anderen Ende der Stadt lag. Von ihrem Fechtlehrer kommend, tauchte sie in das Gewirr der Gassen unterhalb des zweiten Hügels ein. Der große Mantel, der mit einem schärpenartigen Gürtel verschlossen war, in dem ein Säbel stak, verwischte nur notdürftig den Eindruck der grazilen Figur. Die spitz nach oben laufende Fellmütze zog sie noch tiefer in ihr Gesicht. Niemand durfte sie erkennen. Bei dem kalten Regen und dem Wind erregte dieses Verhalten keinen Verdacht – nichts weiter als ein junger Mann, der sich vor dem schlechten Wetter zu schützen versuchte. Die Gefahr ihrer Ikognito-Ausflüge bereitete ihr ein diebisches Vergnügen. Natürlich durfte sie nicht allein den Palast verlassen, natürlich gestattete ihr niemand, Männerkleidung zu tragen, und natürlich hätte man ihr streng untersagt, Fechtstunden zu nehmen. Den Fechtmeister hatte sie mithilfe ihrer Amme gefunden.
    Einer der arabischen Übersetzer aus der kaiserlichen Kanzlei las ihr seit zwei oder drei Monaten die »Geschichten aus Tausendundeiner Nacht« vor. Aus diesen

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