Byzanz
äußerlich aber gelassen und sicher. »Herr, ich glaube das nicht. Schaut Euch die lange Liste der Emire an, die Mustafa unterstützen. Mehmed ist ein Mann von gestern.«
Manuels Blick erlosch, und er versank in Schweigen. Nach einer peinlich langen Pause berührte ihn Johannes an der Schulter, als wolle er den Vater wecken. Manuel sah in die verständnislosen Augen des Sohnes. Er schob die Nachdenklichkeit mit einem leisen Seufzer beiseite und wirkte auf einmal konzentriert. »Was also sollen wir deiner Meinung nach tun?«
Statt Alexios antwortete Johannes. »Halte du weiter die gewohnt guten Beziehungen zu Mehmed, und ich gehe heimlich auf das Angebot von Dschuneid ein. Wir inszenieren Mustafas Flucht mit etwas Blut, ein paar erschlagenen Wächtern, die uns erlauben, Zeter und Mordio zu schreien, und treiben derweil mithilfe unserer exzellenten Diplomatie einen Keil in das Reich der Osmanen. Sollen sie sich im Kampf um die Macht gegenseitig an die Gurgel gehen und sich dabei schwächen. Dann bleiben wir als lachende Dritte übrig. Wen kümmert’s, ob Mustafa wirklich der ältere Bruder Mehmeds ist und damit Anspruch auf den Thron hat oder nur ein Lügner ist. Mehmed nennt ihn düzme , den Falschen. Falsch sind sie letztendlich doch alle, weil sei dem falschen Glauben anhängen«, fügte Johannes in abfälligem Ton hinzu.
»Es ist ein gefährliches Spiel, das du da vorhast, mein Sohn«, warnte der Kaiser.
»Gefährlich ist nur, nichts zu tun, weil sie sich weiter ausbreiten werden. Eines nicht mehr allzu fernen Tages werden sie mächtig genug sein, um uns zu vernichten.«
»Ich vertraue Mehmed«, entgegnete Manuel trotzig.
»Nehmen wir an – und die Annahme birgt eine gewaltige Gefahr –, Mehmed sei ehrlich. Weißt du, wie lange er herrschen wird und wer nach ihm kommt? Kannst du jemandem vertrauen, den du nicht kennst?«, fragte Johannes.
Alexios verstand die Welt nicht mehr, als er staunend dem Gespräch zwischen Vater und Sohn folgte. Der Kaiser leistete sich eine Sentimentalität, die das Reich teuer zu stehen kommen würde. Gute Männer wie Xavier del Mar hatten für diesen Zauderer ihr Leben gelassen! Da hatte sich Alexios unter Lebensgefahr nach Bursa begeben, mit Dschuneid konspiriert, mit einem Trupp der Renner und Brenner des Sultans auf Leben und Tod gefochten, dem Reich eine exzellente Chance eröffnet, und statt Dank zu hören, suchte der Kaiser nach Gründen, sich nicht entscheiden zu müssen.
»Ich danke euch beiden von Herzen. Alles, was ihr sagt, stimmt, und doch – lasst uns nichts übers Knie brechen!«, sagte Manuel abschließend und ließ seinen Sohn und den Fürsten einfach stehen.
Zornig über den Ausgang seiner Mission beschloss Alexios, sich in seinen kleinen und geheimen Stadtpalast nach Vlanga zurückzuziehen, in dem er unbehelligt seinen Lüsten frönte. Die Angeloi herrschten in Epiros, doch als Drittgeborener war Alexios die Aufgabe zugefallen, Sachwalter seiner Familie am Hofe des Kaisers zu sein. Zwar stand ihm deshalb eine Unterkunft in einem der Paläste in Blachernae zur Verfügung, doch unterhielt er zu seinem Pläsier daneben die kleine, aber komfortable Stadtvilla. Gebratenes Wildschwein und ordentlich Chisi-Wein würden ihm die Kälte aus dem Leib treiben und zwei üppige Damen mit ihren geschickten Zungen und Händen für seine Entspannung sorgen. Und für das Vergessen, das auch. Ja, üppig mussten sie sein und jung, dabei nicht ohne Erfahrung, denn er liebte das handfeste Leben und griff gern in die warmen Wogen des Fleisches. Erklären mochte er nichts, auch keine Wünsche äußern, dafür schätzte er es umso mehr, überrascht zu werden. Einmal beobachtete er mit einer Kurtisane zwei Rüden, und anschließend hatten sie das Treiben der beiden Hunde nachgeahmt. Es war die Idee der Frau gewesen. In Erinnerung an sie stöhnte er auf, denn sie war mit einer grenzenlosen Phantasie begabt gewesen. Frauen mit Phantasie waren selten in diesem Gewerbe und allemal ihr Geld wert. Keine derben Handwerkerinnen, sondern Künstlerinnen der Lust. Leider hatte ihre Gewitztheit sie nicht vor der Pest gerettet. Welch eine Verschwendung!
8
Hagia Sophia, Konstantinopel
Am 19. Januar 1421 fand sich die gesamte Familie Notaras – Nikephoros, Thekla, Loukas und Demetrios – in der Hagia Sophia ein. Die farbenfrohe Kleidung der Menschen und die bunten Tücher, mit denen viele winkten, gingen tapfer gegen das graue Regenwetter an diesem Morgen an. Vom Blachernae-Viertel
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