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Byzanz

Byzanz

Titel: Byzanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fleming
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Erzählungen erfuhr sie von dem Kalifen Harun al-Raschid, der verkleidet durch Bagdad streifte, um die Meinungen und Gedanken seiner Untertanen zu erforschen. In der Maske und der Kleidung eines jungen Adeligen fühlte sie sich ein wenig wie der berühmte Kalif, wenn sie ihre Stadt erkundete. Die enge, starre und vor allem intrigenvergiftete Welt des Hofes nahm ihrem Herzen den Atem. Diese Fluchten benötigte sie, um nicht zu ersticken. Sie träumte davon, hinaus in die Welt zu gehen, und verfluchte ihr Geschlecht, das sie daran hinderte. Ihr Verstand sagte ihr, dass ihr einziger Ausweg darin bestand, den richtigen Mann zu finden, keinen, der jener verfluchten Hofclique angehörte.
    Doch in diesem Moment genoss sie es, nicht mehr Eirene, sondern Eirenaios zu sein, ein junger Tunichtgut aus betuchtem Hause. Die Stadt lag Eirenaios zu Füßen mit ihren vielen Vierteln, die wie eigene Ortschaften wirkten, zwischen denen früher Parks gelegen hatten. Dort, wo einst Blumen und Bäume aus dem Grün des Rasens wuchsen, erstreckten sich Beete und kleine Felder, auf denen Gemüse angebaut wurde.
    Ihre ersten Ausflüge hatten sie erschreckt. Niemals hätte sie geglaubt, dass ihr geschichtsstolzes Konstantinopel, das Neue Rom, eine im Grunde zerfallende und sterbende Stadt war. Woher sollte sie im Glanz des Hofes auch nur ahnen können, wie es außerhalb der Mauern von Blachernae aussah? Das Palastviertel verließ sie offiziell nur, wenn an den hohen Feiertagen die Prozessionen zur Hagia Sophia stattfanden, und diese Festzüge bewegten sich entlang der Hauptstraße. Umso mehr sie sah, umso mehr wuchs auch Hoffnung in ihr, denn so wie einige Viertel in Melancholie versanken, existierten auch vitale, aufstrebende Quartiere, besonders um die Häfen im Norden oder wie hier in Vlanga im Süden. Der arabische Reisende Ibn Battuta, der vor über einem halben Jahrhundert in der Stadt weilte, hatte erwähnt, dass Konstantinopel aus dreizehn verschiedenen Orten bestand, wie der Übersetzer ihr vorgelesen hatte. Zweifelsohne hatte der Fremde mehr gesehen und kannte die Stadt besser als sie, die Einheimische. Dem wollte sie dringend Abhilfe schaffen.
    Lagerhallen und Speicher wechselten sich mit Kneipen und zweifelhaften Etablissements ab. Vor einem der Hafenbordelle saß lustlos eine dicke Hure und popelte in ihrer Nase. Es war entschieden zu früh für Kundschaft, aber man konnte nie wissen, ob im Hafen ein Schiff einlief. Aber auch diese Chance hielt sich genau betrachtet sehr in Grenzen, denn im Winter, sah man von ein paar Fährschiffen nach Chalkedon und Nikomedien ab, kam die Schifffahrt zum Erliegen.
    »Was ist mit dir, Kleiner?«, rief die Frau ihr zu, ohne den Finger aus der Nase zu nehmen. »Mama zeigt dir auch, wie es geht, du mein süßes Freudenbübchen«, fügte sie noch ohne Ehrgeiz, fast schon gelangweilt hinzu.
    Eirene wandte das Gesicht ab, das tiefrot anlief, und zwang sich, nicht schneller zu gehen, denn sie wollte sich nicht noch mehr Spott abholen. Bald darauf passierte sie das Kontoskalion-Tor und befand sich außerhalb der Seemauern im Hafen. Frische Meeresluft wehte von der Propontis und weitete ihre Bronchien. Auch wenn der Geruch von fauligem Plankton, verdorbenem Fisch und Exkrementen ihre Nasenschleimhäute reizte, liebte sie die Atmosphäre des Ortes. Dieser Duft würde ihr selbst bei geschlossenen Augen immer erzählen, wo sie sich befand: im Tor der Freiheit. Die Ausdünstungen der Stadt noch wahrnehmend, erreichte sie schon das Aroma des offenen Meeres. Häfen waren doch immer auch Orte der Gestrandeten. Stand sie hier, hatte sie das Gefühl, dass es nur noch eines Schrittes bedurfte und alles, ihre Herkunft, die Fesseln der Hofetikette und des Zeremoniells, würde abfallen. Es brauchte nur eine Gelegenheit und eine Unbedachtheit. Käme beides im passenden Moment zusammen, dann konnte es geschehen, dass sie das Einzige vergaß, was sie noch hielt, die Liebe zu ihrem Vater Andronikos, diesem schwächlichen Mann, der nicht recht in die Welt zu passen schien und der mit dem Verlust seiner Frau, ihrer Mutter, seinen Halt und seine Orientierung verloren hatte. Aber bisher zeigte sich weder die Gelegenheit noch neigte sie trotz aller Abenteuerlust zur Unbedachtheit. Sie stand, atmete und schaute.
    An der Mauer, die alle zweihundert Ellen von einem Turm unterbrochen wurde, zog sich ein Kai entlang, von dem aus Landebrücken aus Holz ins Meer ragten. Das Hafenbecken wurde von zwei mächtigen Mauern von der See

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