Byzanz
zu lassen. Als sie schließlich auf halber Höhe verweilte, glaubte der Sultan, dass er sich wie der Prophet auf der Himmelsreise befand, nur dass er selbst der Buraq war und die Sklavin ihn ritt wie weiland der Prophet das fabelhafte Tier.
Als sie ihn am anderen Morgen verließ, wusste er, dass sie ihn in der Nacht beherrscht hatte und dass es, sollte er sie jemals wieder zu sich bitten, um ihn geschehen sein würde. Wie Wachs in ihrer Hand würde er sein. Das durfte er nicht riskieren. Andererseits wollte, nein, konnte er sich nicht grausam ihr gegenüber benehmen. Deshalb befahl er seinem Obereunuchen, ihr ein eigenes Zimmer anzuweisen und ihre Wünsche zu erfüllen. Nur ihm durfte sie sich von Stund an nicht mehr nähern. Der Sultan fürchtete sich vor den Abgründen ihrer Seele, von denen er in der Nacht zu seiner Freude und zu seinem Schrecken eine Ahnung bekommen hatte. Und nun musste er sie doch aufsuchen.
Im Innern wirkte der Harem wie eine noble Herberge. Rechts und links führten Treppen auf die Umgänge, von denen auf vier Etagen die Zimmer und Zimmerfluchten abgingen. Murad nahm die Treppe links, folgte dem Gang in der zweiten Etage bis ganz nach hinten und öffnete die Tür. In dem mittelgroßen Raum brannten Öllichter. Rechts führte ein Gang zu den Kalt- und den Warmbädern. Eine dicke Frau verbeugte sich vor ihm.
»Hier entlang, Großherr«, sagte sie und dirigierte ihn in das dahinter liegende Schlafzimmer. Wie einen Triumph hielt ihm die Russin den kleinen Jungen, den sie gerade auf die Welt gebracht hatte, auf ausgestreckten Armen entgegen.
»Euer Sohn!« Die Tatsache, dem Sultan einen Jungen geboren zu haben, eröffnete ihr die Chance, eines Tages die Sultana zu werden. Wenn ihr Kind den Kampf um die Nachfolge gewinnen könnte, würde sie die Mutter des Sultans, die mächtigste Frau am Hof, die auch ihre Schwiegertöchter kontrollierte.
»Euer Sohn«, sagte sie noch einmal. Es klang wie eine Ohrfeige. Wie eine Rache dafür, dass er sie seit dieser Nacht mit Missachtung gestraft hatte.
Widerwillig sah der Vater das Neugeborene an. Er ist hässlich, dachte der Sultan mit unerklärlichem Hass, als er in das zerknautschte Gesicht seines Sohnes sah. Er konnte nicht, musste aber glauben, dass er diesen Gnom gezeugt hatte, dieses kleine Ungetüm mit seinen großen Ohren und seiner schmalen, spitzen Nase. Er ähnelte so gar nicht seinen älteren Brüdern, er glich ihm in nichts. Was Murad aber wirklich erzürnte, war die Tatsache, dass sie ihn mit diesem Nachkommen besiegt hatte. Nur ein einziges Mal hatten sie beieinandergelegen! Wozu war sie noch imstande? Murad fröstelte. War sie vielleicht ein weiblicher Dschinn? Er musste auf der Hut sein.
»Wie heißt du, und wer bist du?«, fragte Murad die dicke Frau barsch und dachte, dass er nicht einmal den Namen der Mutter seines Sohnes kannte.
»Ich bin die Amme, und mein Name ist Daje-Chatun, Großherr«, antwortete die Frau beflissen.
»Türkin?« Sie nickte. »Komm mit.« Ohne ein Wort mit der Mutter seines Sohnes gesprochen zu haben, stürmte der Sultan aus dem Zimmer und kehrte auch niemals hierher zurück. Auf dem Flur nahm er die Amme scharf in den Blick. »Hör gut zu, was ich dir jetzt sage. Präge es dir fest ein – und rede niemals darüber. Du wirst dich um meinen Sohn kümmern – wie eine Mutter. Er soll so wenig Zeit wie möglich mit dieser Frau verbringen, die ihn geboren hat. Sollte ich meinen Sohn sehen wollen, bringst du ihn mir. Sie nicht, sie darf dich nicht begleiten. Ich werde den Eunuchen Befehl geben, dass sie auf dich zu hören haben. Du hast zu entscheiden, nicht sie. Haben wir uns verstanden?«
Die Amme unterdrückte nur schlecht ein zufriedenes Grinsen. »Der Großherr wird mit mir zufrieden sein.«
Und so geschah es. Den Sohn nannte er Mehmed in der Hoffnung, das Kind würde durch den Namen seinem Vater, der auch Mehmed geheißen hatte, ähnlicher.
Jaroslawa hatte währenddessen ihren Sohn an ihre Brust gelegt. Niemand anders als sie selbst würde ihren Sohn stillen, mochten die Brüste der Amme auch platzen vor Milch. Dieses Kind war ihr Sohn und es war alles, was sie hatte, nachdem sie vor fünf Jahren alles verloren hatte, ein bis dahin glückliches Mädchen von vierzehn Jahren. Nur zu gut wusste sie um die Gefahr, in der ihr Sohn schwebte. Er hatte zwei ältere Brüder, und derjenige der Prinzen, der dem Vater in der Herrschaft nachfolgte, würde die anderen beiden aus Vorsicht töten lassen. So weit würde
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