Byzanz
Loukas’ Herz klopfte vor Aufregung und Abenteuerlust. Er stand kurz davor, die Hoffnung aufzugeben, da vernahm er ein leises Rauschen wie das Schlagen vieler kleiner Flügel. Sie schritt die Treppe herab, dann kam sie auf ihn zu. Eine verwegene Neugier stand ihr ins Gesicht geschrieben.
»Erzählst du mir von Italien?«, fragte sie.
»Wie viel Zeit hast du?«
»Nicht viel. Jetzt nicht. Aber besuche mich doch.«
»Wer bist du?«
»Eirene Palaiologina.«
»Die Enkelin des Kaisers?« Loukas trat einen Schritt zurück und verneigte sich mit über der Brust gekreuzten Armen. Nun erinnerte er sich daran, dass Georgios Sphrantzes, der Rechnungsführer des Kaisers, sie Hoheit genannt hatte.
»Lass das. Wir sind keine alten Leute, wir brauchen kein Zeremoniell.«
»Es ist meine Pflicht. Und meine Freude, denn wenn ich Euch erniedrigen würde, würde ich auch mich erniedrigen und keinen Deut größer sein, denn so oder so stehe ich unter Euch.« In seinen Augen entdeckte sie eine Spur Schalk.
»So bleib nicht stehen. Und wenn du dazu den Befehl benötigst, Kapitän, so befehle ich dir, mich zu besuchen und mich zu unterhalten mit Geschichten von fernen Ländern, denn du bist verpflichtet, mir zu dienen. Erfülle also, was die Enkelin deines Kaisers von dir verlangt. Komme am Dienstagnachmittag zu uns in den Palast. Da trifft sich meine teatra , ein Kreis gebildeter Männer und auch Frauen.«
»Ich bin ein einfacher Seemann und beherrsche nur das Griechisch des Volkes, nicht aber die vier Sprachen der Hellenen, in denen sich die Gebildeten auszudrücken pflegen, nicht das Attische, nicht das Ionische und auch nicht das Äolische, schon gar nicht das Dorische«, sagte Loukas lächelnd.
»Aber das Wirkliche, das Erfahrene, das die schönste Sprache von allen ist! Wenn der Inhalt schön ist, ist es auch die Sprache. Komm, Kapitän, komm am Dienstag, mein Seemann, und erzähl von deinen Erlebnissen in den fremden Städten. Von der Welt!« Eirenes Augen strahlten voller Vorfreude.
»Dienstagnachmittag? Gut, ich …«
»Man vermisst dich, Eirene!«, unterbrach ihn eine verärgerte Stimme.
Loukas wandte sich um und sah in die harten Augen von Alexios.
»Und du, Kapitän, hältst dich von meiner Braut fern! Es schickt sich nicht und beleidigt mich obendrein!«, fügte der Fürst barsch hinzu.
Nicht Enttäuschung, sondern Wut stieg in Loukas auf. Dieser Kerl war einen Kopf größer als er und stämmig. Er hatte die Statur eines Raufboldes, und sein Blick war voller Dünkel. Dennoch hätte er ihn zum Zweikampf gefordert, aber ein Angelos würde sich wohl kaum auf ein Duell mit einem Notaras einlassen. Allein für die Forderung wäre Loukas der Kerker, zumindest der Pranger sicher gewesen.
Die Notaras lebten noch nicht allzu lange in Konstantinopel. Loukas’ Vater diente dem Kaiser zwar als Dolmetscher und Berater, aber die Familie gehörte nicht zu den großen alten Geschlechtern, die vielfach mit dem Kaiserhaus verwandt waren und in der Stadt den Ton angaben. Dass diese Herren, die keinerlei Verdienst aufzuweisen hatten, die Welt nur mit dem selbstverständlichen, leicht verachtenden Blick des Besitzers anschauten, trieb den Zorn in dem Kapitän an. Er suchte nach einer treffenden Entgegnung, aber Eirene kam ihm zuvor.
»Verfüg nicht über mich, Alexios!«, rief sie mit blitzenden Augen. »Ob ich dich heiraten werde, steht noch in den Sternen! Und die Sterne sind hinter dichten Wolken verborgen. Und selbst wenn sie es nicht wären, sondern klar und deutlich scheinen würden, glaube ich nicht, dass du sie zu lesen verstündest, denn ihre Sprache ist die des Herzens, nicht des Dünkels! Du Bräutigam von wem?«, fügte sie, keinen Widerspruch duldend, mit harter Stimme hinzu.
Dann stieg sie die Treppe zum Tafelsaal hinauf, den Mann, der sich ihr Bräutigam genannt hatte, keines Blickes würdigend. Alexios lief vor Wut feuerrot an. Er raunte Loukas noch ein hasserfülltes »Nimm dich in Acht!« zu, bevor er sich beeilte, Eirene einzuholen.
Loukas folgte den beiden langsam und nahm dann an der Tafel neben seinem Vater Platz. Er beteiligte sich nicht an dem Tischgespräch. Stumm sah er die ganze Zeit zu Eirene hinüber, deren Schönheit ihn schmerzte. Zwischen Alexios und Eirene hatte der umfangreiche Clan der Komnenen Platz genommen, dann erst kamen die Angeloi an die Reihe, wie Loukas befriedigt feststellte. Er konnte die Augen nicht von ihr lassen, nicht von dem schmalen Antlitz, der fein geschnittenen Nase, dem
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