Byzanz
töten, ertränken, es ist so …« Er suchte nach dem passenden Wort.
Loukas ließ ihm Zeit, dem großen alten Mann, der seine letzte Reise im Leben angetreten hatte.
»Weißt du, was das Schlimmste ist?« Nikephoros sah sich um, wie um sich zu vergewissern, dass sie wirklich allein waren, und senkte die Stimme, sodass Loukas ihn kaum verstand: »Ich sehe meine alten Freunde aus Kindertagen wieder, Nikolaos, Andreas, Christos, Johannes, ja und auch Markos. Sie stehen dann so wirklich vor mir wie du. Dann wollen sie mit mir spielen, und ich mache mit, bin stolz darauf, dass sie mich, den Zugezogenen, mit einbeziehen. Nichts Schöneres fällt mir dann ein, ich meine, ich kann nicht widerstehen. Verstehst du? Dabei sind sie schon längst tot. Alle!« Das letzte Wort schrie er entsetzt heraus. »Manchmal aber kommen sie auch im Traum zu mir, und dann rufen sie mir lachend zu: Komm, Niko, es wird Zeit, bummele nicht schon wieder.« Tränen stiegen dem alten Mann in die Augen.
Loukas berührte die Hände seines Vaters. »Hab keine Angst, Vater, wir passen auf dich auf.« Woher Loukas die Kraft nahm, wusste er selbst nicht, aber er lächelte. »Wenn du in deinem weiten Geist mit deinen Freunden zusammen sein willst, dann tu es. Doch bleib im Haus und im Innenhof. Im alten Kaiserpalast ist es gefährlich. Dort treibt sich allerlei Gesindel herum.«
Plötzlich saß dem Alten ein kindlicher Schrecken in den Augen: »Ich weiß, Papa, dass es dort gefährlich ist. Und ich geh gewiss auch nicht wieder dorthin! Versprochen!« Dann griente der alte Mann wie ein Kind, das sich eigentlich schämte, es aber verstecken wollte, und sang: »Versprochen ist versprochen und wird auch nicht gebrochen.«
»Gut, jetzt warte hier, ich komme gleich wieder.«
»Darf ich was rechnen?« Loukas legte ihm ein Blatt Papier, eine Gänsefeder hin und schob das Tintenfass zu ihm. Sofort griff der Alte nach der Feder, hielt sie allerdings noch recht ungeschickt, tauchte sie in die Tinte, schrieb eifrig Zahlenkolonnen auf das Papier und kleckste dabei: »Vier und vier sind acht. Fünf und neun und sechs sind zwanzig. Vierzehn weniger zwei sind zwölf. Fünfzehn weniger neun sind acht.« »Das ist falsch«, hörte Loukas sich sagen. Nikephoros errötete. »Oh ja, entschuldige.« Strich die Acht durch und schrieb eine Sechs hin.
Der Kapitän eilte durch die Flure und über die Treppen des Palastes, besprach sich zuerst mit Thekla und Eirene und versuchte, seine Mutter zu trösten. Dann rief er die Dienerschaft zusammen und erklärte ihnen die Situation: Der alte Patron lebe in zwei Welten, in der heutigen und in der Welt seiner Kindheit. Der Kapitän drohte, dass sich keiner dazu hinreißen lassen solle, sich weder in Gedanken noch in Worten und erst recht nicht in Taten ungebührlich seinem Vater gegenüber zu betragen. Sie alle hätten ihn freundlich und achtungsvoll zu behandeln, aber auch auf ihn Obacht zu geben. Keinesfalls dürfe er den Palast verlassen. Danach rief er Christos, den Matrosen, zu sich in den Garten.
»Was ich dir zu sagen habe, fällt mir schwer. Du arbeitest nun schon so lange bei uns, kennst meinen Vater gut und hast uns gegenüber immer Treue gezeigt. Jetzt bitte ich dich um den größten Dienst. Manchmal ist er mein Vater, der, den wir kennen, und lebt im Hier und Heute, manchmal aber kehrt er im Geist in seine Kindheit zurück, dann ist er wie ein Kind. Die Wechsel geschehen übergangslos. Leiste meinem Vater Gesellschaft, kümmere dich um ihn, achte auf ihn! Willst du das tun, Christos?«
»Ja, Herr«, sagte der Matrose. »Verlasst Euch auf mich!«
Anschließend rief er die Kinder zusammen. Er erzählte ihnen von seiner Kindheit, wie sich sein Vater, ihr Großvater, stets um ihn gekümmert habe, aber auch davon, was er alles für die Familie und für das Reich getan hatte. Alles, was er über die lange Reise des alten Seeräubers mit dem Kaiser Manuel nach Italien, Deutschland, Frankreich und England, bei der sie im Westen nach Hilfe suchten für das Reich der Rhomäer, wusste, berichtete er seinen Kindern. Er wollte, dass sie wussten, wer ihr Großvater war. »Nun ist euer Großvater so alt, dass die Erinnerungen für ihn wichtiger werden als die Gegenwart. Ihr werdet das noch nicht verstehen, weil ihr nur die Gegenwart kennt und noch keine Vergangenheit habt …«
»Doch, habe ich«, behauptete Anna trotzig, sprang auf und stemmte die Arme in die Hüften. »Gestern habe ich mir Honig aus der Küche stibitzt, und
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