Byzanz
da habe ich eins von der Köchin bekommen. Und das war gestern, nicht heute! Habe ich nun eine Vergangenheit oder nicht?« Ihre Augen funkelten gefährlich. Loukas musste lachen. »Oh ja, Anna, du hast eine Vergangenheit, wenn auch nur als Honigdiebin. Was ich aber meine, ist, Großvater denkt manchmal so sehr an seine Kindheit, dass er dann auch glaubt, sich wieder in seiner Kindheit zu befinden. Das darf euch weder erschrecken noch dürft ihr euch über ihn lustig machen! Habt ihr mich verstanden? Was auch immer geschieht, wie auch immer er sich verhält, habt euren Großvater lieb, er hat es verdient.«
»Immer wenn Großpapa in seiner Kindheit ist, kann er doch zu uns spielen kommen! Schau mal, Papa, Großvater langweilt sich dann nicht und wir haben einen neuen Spielkameraden gewonnen. Das wird fein!«, rief Demetrios aus. Loukas fuhr seinem ältesten Sohn dankbar über den Kopf. »Das ist eine schöne Idee, Mitri!«
Am Abend führte Loukas Notaras ein langes Gespräch mit Eudokimos. Er stellte ihm die Situation dar und zog den Schluss aus allem, dass sein Platz fortan nur noch in Konstantinopel sein würde. »Mit den Reisen ist es vorbei, die Geschäfte, die an Umfang und Vielzahl zugenommen haben, und die Familie erlauben eine lange Abwesenheit nicht mehr. Deshalb möchte ich, dass du von nun an mein Lieblingsschiff, die ›Nike‹, führst. Übermorgen lauft ihr aus nach Kaffa, deine erste Kapitänsfahrt, Kapitän Eudokimos.« Der alte Seemann wusste vor Überraschung und Rührung nicht, wo er hinschauen sollte.
»Ihr werdet es nicht bereuen!«
»Davon bin ich überzeugt. Du warst bis jetzt meine rechte Hand, jetzt bist du der Erste unter meinen Kapitänen. Nun lass mich allein.«
Eudokimos erhob sich und ging zur Tür.
»Wer war eigentlich dieser Mann im alten Kaiserpalast?«, rief Loukas ihm nach.
»Mein Vetter Leonidas. Ich hatte ihn aus den Augen verloren. Eigentlich ein guter Kerl, ein bisschen weich. Vielleicht hat er deshalb zu trinken angefangen. Wo es geendet hat, habt Ihr ja gesehen!«
»Und nun?«
»Verpass ich ihm eine Entziehung und mach dann wieder einen brauchbaren Menschen aus ihm.«
»Viel Glück!«
»Glück braucht man dafür nicht, nur Konsequenz und Härte!« Und Loukas sah es dem alten Seemann an, dass er beides aufzubringen wusste.
Dann beschloss er, endlich zu seiner Frau ins Bett zu gehen. Er fühlte sich müde, aber auch traurig. Es war ein langer Tag, eine Ankunft, die er sich eigentlich anders vorgestellt hatte, wo ihm doch das größte Geschäft seines Lebens geglückt war. Stimmt, das musste er noch Francesco Draperio mitteilen, dass sie Erfolg hatten, aber dafür war am nächsten Tag immer noch Zeit.
Erstmal sehnte er sich nach seiner Frau, nach Trost, Zärtlichkeit und Ruhe.
12
Auf dem Weg nach Konstantinopel
Wie ein Stein am Grund des Sees lag das Herz in seiner Brust. Er fühlte keine Liebe mehr. Die eine, die er zu lieben meinte, hatte ihn, und die andere, die ihn gewiss liebte, hatte er verraten. Geblieben war nur der Kampf mit dem körperlichen Verlangen, der sexuellen Gier, die ihn immer beherrscht hatte, aber auf einmal langweilte ihn der Akt selbst, nein, er stieß ihn sogar ab. Es lief doch jedes Mal auf das Gleiche hinaus. Soviel man mittendrin auch variieren mochte, blieb es letztlich ein physiologischer Reiz, den der Mensch mit einer Ästhetik oder einem Mythos zu bemänteln versuchte, dass er nicht so nackt in seiner tierischen Gestalt dastand.
Über das vermeintlich Höhere konnte er angesichts der Körpersäfte nur lachen. Oft genug hatte er die Vorstellung verspottet, dass Eros und Sexus zusammengehörten und dass man die Frau, mit der man sich vergnügte, lieben musste. Nichts änderte sich durch Liebe an der Physis des anderen, hatte er dann stets anzüglich grinsend verkündet. Das hohe Gefühl der Liebe machte keine Brust größer und keinen Po straffer. Doch die Erinnerung an Clara stellte auf einmal die Richtigkeit dieser Vorstellung radikal infrage. Und sie war derart zwingend, dass er sich ihr nicht zu entziehen vermochte. Er erwog, einen Asketen aufzusuchen, um bei ihm zu lernen, die sexuellen Triebe zu unterdrücken, dann jedoch lachte er über diese Vorstellung. Und über die Situation, in der er steckte. Ihm blieb nur die Wahl zwischen der Klause eines Eremiten und dem Separee in einem Bordell. Vielleicht sollte er es zur Abwechselung einmal mit Ioanna versuchen, der unbedarften Prinzessin, die er auf den Wunsch der Kaiserin Helena
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