Byzanz
einst geheiratet hatte. Diese Vorstellung kam ihm absolut unmoralisch vor.
Schlagartig wurde ihm bewusst, dass er die dreißig weit überschritten hatte und sich der vierzig mit großen Schritten näherte. Das Vorrecht der Jugend konnte er nicht mehr für sich in Anspruch nehmen und aus diesen Gründen auch nicht auf Nachsicht hoffen. Hatte er die letzten zehn Jahre vertan? Diese Frage bohrte sich auf den einsamen Wegen, die er zurücklegte, immer tiefer in sein Gehirn. Den Staub der Straße fraß er wie die Ungewissheit. Ohne Înger hätte er sich vielleicht einsam gefühlt. Er mied jeden Reisenden, der sich als Gefährte aufzudrängen suchte, denn den Weg zur Selbsterkenntnis legte man nicht in Gesellschaft zurück.
Als er nach einem derben Nachtlager in einer Scheune den Holzeimer mit kaltem Wasser, das er aus einem tiefen Brunnen geschöpft hatte, über sich ausgoss, begriff er, dass jedwede Erkenntnis mit Selbsterkenntnis begann. Wie konnte man Fremdes verstehen, wenn man sich selbst nicht kannte?
Auf den Straßen nach Süden lag der Staub auf der Wahrheit wie die Trockenheit auf der Landschaft. Schritt für Schritt, Meile für Meile wirbelte er ihn auf und begann dabei schonungslos bei sich. Es ging nicht anders, denn er war alles, was er hatte. Alles wehrte sich in ihm dagegen, denn am überzeugendsten belog sich nun mal der Mensch selbst, dennoch begann er, sein Leben vor den unerbittlichen Richter zu zerren, der er selbst war. Es stimmte, Stück für Stück hatte er seine politische Position gefestigt, gehörte dem Geheimen Rat an und wurde zum Armeekommandeur der kaiserlichen Truppen im Feld ernannt. Eigentlich ein Grund zum Jubeln. In seinem Palast in Blachernae lebte eine Prinzessin der Palaiologen, Ioanna mit Namen, mit der er verheiratet war, während er in seinem Stadtpalast wohnte, wenn er in Konstantinopel weilte und nicht im Forsthaus von Großwardein die Gegenwelt genoss. Langsam verstand er, dass die Zeit in Großwardein für ihn immer auch eine Flucht vor dem zermürbenden Kleinkrieg am Hof des Kaisers bedeutete. Man stritt, intrigierte und finassierte und blieb doch auf der Stelle, am Ende schon zufrieden damit, nicht verloren zu haben. Wollte er die Armee stärken, forderte Loukas Notaras den Bau neuer Schiffe, arbeitete er an der Festigung der Beziehung zu den Lateinern, mühte sich sein Widersacher, die Bande zu den Türken zu festigen. Er besaß keinen Beweis dafür, nur die untrügliche Ahnung, dass der Kaufmann und Marineoffizier nicht davor zurückschreckte, politische Unterstützung notfalls auch zu erkaufen. Die alten Geschlechter besaßen große Namen und wenig Geld. Für einen wie Loukas Notaras, einen Emporkömmling, dem naturgemäß jedes Gefühl für Anstand und Größe abgehen musste, die ideale Ausgangsposition.
Die kleinen Fluchten nach Großwardein hatte er angesichts einer deprimierenden Realität auch bitter nötig. Anstatt dass sie das Reich der Rhomäer wieder aufrichteten, zerfiel es immer mehr, so wie Konstantinopel bei Lichte besehen eine sterbende Stadt war. Die Armen fraßen sich gegenseitig auf, die Höflinge und Würdenträger verbarrikadierten sich in Blachernae und die reichen Handelsherren in ihren Palästen. Und die Mittelschicht, die Handwerker und Händler, kämpften sich mühsam durch und am Ende verelendeten sie doch. Aus ihnen, die nicht viel, aber immerhin doch etwas besaßen, presste ein seelenloser und nur sich selbst verpflichteter Staat die letzten Mittel ab. Er glaubte fest daran, dass das Volk mit harter Hand geführt werden musste, geführt, aber nicht ausgeplündert für den morbiden Luxus einer sterbenden Klasse von willig-eitlen Handlangern, die im Gegenzug ein wenig Macht und ein abgesichertes Leben erhielten, opferten sie sich doch auf im Dienst für den Staat und gegen das Volk. Er wusste nicht wie, er wusste nur, dass es radikal anders kommen musste, wenn überhaupt noch etwas zu retten war. Wenn die Christenheit sich nicht änderte, würde sie der Islam versklaven.
Alexios Angelos hatte nicht nur mit König Sigismund, nicht nur mit dem Fürsten der Moldau und der Walachei gesprochen, sondern auch mit all den Herren, die Länder beherrschten, die einst zum Imperium Romanum gehörten, mit dem Despoten von Serbien, dem neuen Ban von Bosnien, dem Zar der Bulgaren und mit den albanischen Stammesfürsten, die inzwischen alle Vasallen des Sultans waren wie auch der Kaiser. Selbst der Kaiser in Konstantinopel zahlte dem Großtürken Tribut. So
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