Byzanz
geeinte Kirche! Deshalb ist das Unionskonzil so wichtig, deshalb bin ich hier, um dafür zu werben und Johannes zu bewegen, mich nach Ferrara zu begleiten.«
Ein kühler Wind kam auf. Die Sonne im Westen, der Mond im Osten standen sich gegenüber und zwischen ihnen Anna und Nikolaus und natürlich Justinian, der Weltenkaiser auf seinem Pferd.
Ihr wurde kühl. »Es ist spät. Ich muss nach Hause.«
»Morgen?«
»Morgen«, und es klang wie ein Schwur aus ihrem Munde, ein Schwur und eine kleine Verschwörung. Sie wollte ihm einen Kuss geben, brachte aber schließlich nicht den Mut dafür auf, so berührte sie mit ihrem rechten Zeigefinger kurz seine Wange, einen Flügelschlag lang. Nicht mehr.
27
Notaras-Palast, Konstantinopel
Auch Loukas Notaras kam erst spät nach Hause. Sie hatten lange im Geheimen Rat gestritten. Schließlich setzte sich der Admiral gegen Alexios Angelos durch, sodass der Kaiser nicht nur den Legaten des Papstes, sondern auch den Gesandten des Konzils in einer gemeinsamen Audienz empfing. Von seiner Frau erfuhr er, dass Anna erst kurz vor ihm zurückgekehrt war. Das stimmte ihn misstrauisch. Deshalb befragte er die Wächter seiner Tochter.
Währenddessen saß Anna im Atelier ihres Onkels und schaute ihm zu, wie er eine Tafel grundierte, die er zum Malen verwenden wollte. Es fiel ihr auf, wie viel Geduld, wie viel Liebe und wie viel Sorgfalt er aufbrachte. Sie fand den Geruch des Ateliers bemerkenswert, aber den von Büchern liebte sie.
»Du hast schon lange keine Ikone mehr gemalt.«
»Das fällt sogar dir auf. Wie kann ich das Göttliche malen, wenn ich das Menschliche nicht kenne? Nicht Gott suche ich, sondern den Menschen.«
»Wie willst du den Menschen finden?«
»Ich hoffe, wenn ich viele Menschen in ihrem Alltag male, irgendwann einmal den Menschen zu finden.«
Anna lächelte maliziös. »Ein bisschen gotteslästerlich ist das schon, oder? Die heilige Technik für profanes Menschenwerk zu nutzen.«
»Unsere kleine Sophistin«, lächelte der Maler. »Das sind alles Theorien. Dionysios macht sich zum Medium Gottes beim Malen, allerdings haben die Regeln, an die er sich hält, Menschen erstellt.«
»Ein Widerspruch!«
»Mag sein. Ich habe diese hochfliegenden Vorstellungen nicht.«
»Nein?« Annas Gesicht nahm den vollkommenen Ausdruck der Ironie an.
»Ich habe so viel verschiedenes Leben gesehen. Schau mal.« Demetrios unterbrach seine Arbeit, erhob sich mit einem Gesichtsausdruck, der besagte, dass Anna vorher ja doch keine Ruhe geben würde, und nahm vom Fußboden ein Tafelbild, das an die Wand gelehnt stand. Auf dem Bild sah sie eine Türkin, die einem etwa zweijährigen Kind, das gestürzt war, aufhalf. Dabei hatte sich ihr Schleier gelöst und gab das Gesicht frei, in dem Sorge und Liebe zu ihrem Kind sich mit der Verwunderung über den fehlenden Schleier mischten.
»Ich hätte natürlich auch eine Hodegetria malen können, eine Jungfrau Maria mit ihrem Sohn.« Anna beeindruckte das Bild, denn sie sah der Frau an, dass sie ihr Kind verteidigen würde. Es sind Menschen, dachte sie erschüttert, Menschen wie wir. Natürlich wusste sie, dass die Heiden keine Tiere oder Ungeheuer waren, dazu hatte ihr Vater genug von den Türken erzählt, von Murad und Halil Pascha. Das waren Herrscher, Politiker, Geschäftsleute, aber keine Menschen des Alltags, auf die es doch ankam. Demetrios beobachtete die Gesichtszüge seiner Nichte. »Es ist spät. Du musst ins Bett, Anna. Morgen ist auch noch ein Tag.«
»Eine Frage noch!«, bat sie.
»Eine!«, erwiderte Demetrios streng.
»Wie würdest du eine Klosterbibliothek ordnen, wenn du Bücher verbergen willst?« Die Suche nach Büchern im Kloster, die sie mit Nikolaus betrieb, weckte den Verdacht in ihr, dass die Bibliothek nicht, wie der Bibliothekar behauptete, vollkommen unordentlich war, sondern dass die äußere Unordnung die innere Ordnung verbarg.
Demetrios kratzte sich den kleinen Spitzbart, den er sich hatte wachsen lassen. »Es gibt viele Möglichkeiten. Hat dein Bibliothekar nicht früher Ikonen gemalt?«
»Deshalb frage ich dich!«
»Dann schlage ich ein Bilderrätsel vor. Denk dir den Raum als Ikone, also die drei Dimensionen von Höhe, Breite und Tiefe auf die zwei Dimensionen von Höhe und Breite reduziert. Die Ikone gehorcht nicht den Gesetzen der Zentralperspektive, weil sie die Welt nicht so genau wie möglich abbilden will, sondern weil sie ein Symbol der Welt darstellt. Bisweilen arbeiten Ikonen mit einer
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