Byzanz
Schwert über den Grundbesitzer her und befreite Loukas. Entweder erwachte sie, bevor sie sich umarmten, oder ihr misslang die Vorstellung, ihn zu berühren. So kam es doch zu keiner Erlösung. Als ob Träume erlösten – bestenfalls hielten sie die Spannung erträglich. Auf das Gefühl, ihn zu berühren, musste sie verzichten. Alle Versuche, die Sehnsucht zu mildern, vergrößerten sie nur.
Lag es an der Sehnsucht, an den Träumen, an der Hilflosigkeit, an einer zum ersten Mal in ihrem Leben gefühlten Einsamkeit, sie veränderte sich. Plötzlich verwandte sie viel Zeit darauf, sich zu pflegen, nahm Beruhigungsbäder, um in einen möglichst langen Schlaf zu finden, und bewegte sich so viel wie möglich im Freien. Eirene tat alles dafür, um schön zu sein, schön für den Tag seiner Rückkehr, für ihn. Nicht Eitelkeit trieb sie, sondern die eigenwillige Vorstellung, während ihrer Trennung daran zu arbeiten, dass eine schöne Frau ihren heimkehrenden Mann begrüßte. Sie fühlte sich Penelope verwandt, die auf Odysseus wartete, nur dass ihre Freier, die sie bedrängten, die Sorgen waren, die sie sich um Loukas machte, Sorgen, die, wenn man sie zuließ, zum übermäßigen Essen verführten, Falten ins Gesicht schnitten und die Haare grau färbten. Gegen diese Plagen wollte sich Eirene mit der gleichen Ausdauer zur Wehr setzen wie Penelope gegen die dreisten Freier. Die geheimen Ausflüge in die Stadt unterließ sie fortan, denn sie durfte sich nicht leichtsinnig in Gefahr begeben. Alles, was sie jetzt für ihn tun konnte, erschöpfte sich darin, auf sich zu achten.
Basilius, den sie um Rat bat, riet ihr, sich Rituale zu schaffen, den Tag nach einem starren Plan einzurichten, den sie unter allen Umständen einhalten sollte. Die Starre des Ablaufes gebe dem Geist Halt. Die Dienstagsgesellschaften sagte sie ab. Es schien ihr unpassend, sich in der teatra zu amüsieren, während ihr Geliebter womöglich in Gefahr schwebte. Aber natürlich hatte ihr auch der Verräter Sphrantzes die Lust an dem Gesprächskreis verdorben.
So suchte sie von nun an morgens die Apostelkirche auf, um zu beten und anschließend mit Basilius zu reden. Ihre Unterhaltungen drehten sich um Loukas, aber auch um Basilius, der daran zweifelte, ob er Mönch werden oder zunächst an den Universitäten der Lateiner studieren sollte. Doch vorerst war er noch vollauf damit beschäftigt, die Bibliothek des Studionklosters im Stadtteil Psamathia nach alten Handschriften zu durchstöbern. Hier ging es ihm vor allem um Texte des Philosophen Platon. Eirene liebte es, wenn Basilius lang und umständlich in Geschichten schwelgte, die davon handelten, wie er wieder eine unbekannte oder verschollen geglaubte Handschrift entdeckte.
Anschließend begab sie sich in den Palast der Familie Notaras. Die Gespräche mit Nikephoros taten ihr gut, weil sie ihr das Gefühl gaben, Loukas nahe zu sein, denn lebte etwas vom Vater im Sohn, so auch vom Sohn im Vater, selbst wenn es sich auf eine bestimmte Geste oder das Lächeln lässiger Versonnenheit in den Augen beschränkte. Sie empfand zwar ein schlechtes Gewissen, den viel beschäftigten Mann mit Nichtigkeiten, die sie eifrig ersann, aufzuhalten, nur um in seine Augen zu schauen, weil sie denen ihres Liebsten glichen, doch konnte sie sich nicht dagegen wehren. Der Vater stellte für sie eine Brücke zum Sohn dar.
Mit ihrer künftigen Schwiegermutter begann sie bereits, die Zimmerflucht zu gestalten, die sie nach der Hochzeit im Palast der Notaras beziehen würde. Über die Frage, wie viele Kinderzimmer einzuplanen waren, gerieten die beiden Frauen in ein scherzhaftes Geplänkel.
»Fünf«, meinte Eirene.
»Du traust meinem Sohn viel zu«, hielt Thekla dagegen.
»Ich traue uns viel zu. Und du? Wie viele Enkel wünschst du dir?«
»Einen nach dem anderen«, antwortete Thekla salomonisch, die nicht gern an ihre beiden Schwangerschaften zurückdachte.
In diesen Momenten hatte Eirene das Gefühl, längst verheiratet zu sein.
Am Nachmittag besuchte sie die Hagia Sophia und betete vor der Ikone der heiligen Gottesmutter für Loukas. Die Abende verbrachte sie mit ihrem Vater. Oder sie las in ihrem Lieblingsbuch von Longos, dem Roman »Daphnis und Chloe«, in dem zwei ausgesetzte Kinder ihre Kindheit miteinander verbringen, sich ineinander verlieben und schließlich nach vielen Irrungen und Wirrungen auch zueinanderkommen. Schließlich begann sie ein Buch zu lesen, das Basilius ihr geliehen hatte und das sie abschrieb,
Weitere Kostenlose Bücher