Café der Nacht (German Edition)
betrachtete er Monroe nachdenklich.
Der spürte seinen Blick und sah auf, ebenso selbstbewusst und unergründlich, wie eh und je. „Was?“
Statt einer Antwort zuckte Maxim nur die Achseln und schwieg einen langen Moment. „Wieso Narrenengel?“
Monroe reagierte erst nach einem Augenblick. Sein Mund verzog sich zu einem raubeinigen Grinsen. „Wieso Löwenherz?“
Verdutzt blinzelte Maxim ihn an. Hatte Monroe nicht fest geschlafen, als er das zu ihm gesagt hatte? Was hatte er noch alles mitbekommen? Sie blickten einander aufmerksam an. In Maxim kribbelte es heiß. Dann wandte Monroe sich wieder der Zeitung zu, Maxim wusch sein Glas aus, stellte es in den Schrank zurück und ging. Das war alles, was sie über jene Nacht je sprachen. Doch irgendwie war damit alles gesagt.
* * *
Schwerelose Sommerzeit. Die großzügigen Blätterfächer der Kastanie warfen Schattenmuster auf das Kopfsteinpflaster des kleinen Platzes vor dem Café der Nacht. Man stellte Stühle, Tische und Sonnenschirme hinaus. Wenn es dunkel wurde, setzten bunte Lichterketten das fröhliche Treiben jener Gäste, welche die laue Nachtluft dem Kellergewölbe vorzogen, in magisches Licht. Spontan hatte sich eine kleine, lockere Musikgruppe zusammengefunden, die nächtens mit Geige, Gitarre und Akkordeon die Sterntalergasse mit Chansonklängen und Zigeunerweisen erfüllte. Von den Fenstern ringsum blickten Anwohner – auch sie meist Künstler – auf das Straßencafé herab und lauschten den süßen, wehmütigen Melodien. Es lag ein charmanter Bohèmeflair über der Szenerie. Das Gefühl von Freiheit und des Aufgehobenseins, das Maxim in jenem Sommer empfand, wollte er tief in jede Faser seines Seins einsaugen, um es ewig zu halten. Nona stieß ab und an zu den Musikern und sang für die anderen; traurige Liebeslieder und alte Volksweisen. Wenn ihre klare Nachtigallenstimme den Platz erfüllte, verstummte das Gemurmel der Gespräche und alles lauschte, unversehens bewegt.
An jenem Abend hatte Rufus Maxim ziehen lassen, sodass er die milde Nacht draußen genießen konnte. Er saß auf der Türschwelle und atmete die Schönheit des Augenblicks.
Dichter Jonathan, Jeudi und Bildhauerin Marilla spielten Rommé, selbst Monroe hatte sich ohne seine Meute nach draußen gesellt und lümmelte an einem Tisch an der Hauswand, zwei Stühle für sich und seine Beine beanspruchend. Den Kopf gegen die Wand gelehnt lauschte er der Musik, ungewöhnlich still und friedsam. Merlyn unterhielt sich unweit davon leise, aber angeregt mit Dela. Schabernack putzte auf ihrem Tisch inbrünstig das schwarze Gefieder.
Als Nona nun schnörkellos und voll zur leisen Musik über die Loreley zu singen begann, verstummten die Anwesenden und wandten sich zu ihr um. Ein Lächeln huschte durch die Reihen, als jedermann das schwermütige Lied erkannte. Während aller Augen auf den Musikern ruhten, war es Monroe, den Maxim verstohlen betrachtete. Sein Blick schien auf Nona gerichtet, und doch unendlich weit entfernt.
Das Lied über die schöne Zauberin vom Rhein und ihr goldenes Haar endete, und sanfter Beifallregen plätscherte über den Platz. Monroe sah sich zu Maxim um und lächelte leicht, als ihre Augen sich trafen. Als er zurücklächelte, überkam ihn ein warmes, erhebendes Gefühl von Verbundenheit. Er wünschte sich plötzlich nichts mehr, als dass sie beide, ganz ohne Vidas Hilfe, endlich Kontakt zueinander finden würden. Monroe schien der letzte Mensch zu sein, den man sich zum Vorbild nehmen sollte. Doch Maxim hatte das unbestimmte Gefühl, er könnte von keinem anderen mehr über sich selbst und das Leben lernen, als von ihm.
Der Abend endete abrupt in überraschtem Aufschreien und wildem Auseinanderstieben, als aus dem Nichts ein kesser Sommerschauer niederging. Binnen Sekunden hatten sich alle ins Innere des Cafés geflüchtet. Die schweren Tropfen platschten auf das dunkle Pflaster herab und zersprangen auf dem Boden. Es duftete nach feuchtem Asphalt. Auch Maxim war aufgesprungen und lehnte nun im sicheren Türrahmen. Hinter ihm das Plappern und Lachen aufgeschreckter Stimmen und der Geruch von nassen Haaren und klammer Baumwollkleidung. Drinnen setzte unverdrossen die Kapelle erneut ein, doch Nona sang nicht mehr. Als einziger war Monroe seelenruhig sitzen geblieben und ließ sich zufrieden vom Regen durchnässen. Er nahm genüsslich einen Schluck von seinem verwässerten Wein und schüttelte sich mit breitem, glücklichem Grinsen das nasse Haar aus der
Weitere Kostenlose Bücher