Café der Nacht (German Edition)
Stirn, dass die Tropfen nur so stoben. Er schaffte es, alle, die nach drinnen geflohen waren, wie Dummköpfe aussehen zu lassen, die das Schönste verpassten. In sich hineinlächelnd beobachtete Maxim ihn, stark versucht, sich zu ihm zu gesellen. Doch er tat es nicht, wie er so vieles nicht tat, das er hätte tun wollen.
* * *
Eines Tages lud Rufus Maxim ein, ihn zu seinem geheimen Lieblingsplatz im Haus zu begleiten, und führte ihn hinauf in die Mansarde. Bei Rufus bedeutete eine solche Geste sehr viel, und Maxim freute sich. Der große Raum unter dem Dach war offenkundig ehemals bewohnt worden, die wenigen Möbel, bettlakenverhangen, standen wie Schauerfiguren einer erstarrten Geisterbahn verloren in der Weite. Durch die Dachgauben und das große Fenster in der hinteren Hauswand war der Dachstuhl erstaunlich hell. Rufus ging voraus zum Fenster einer der Gauben, das sich nur schwer öffnen ließ, weil das alte Rahmenholz verzogen war. Dann kletterte er zu Maxims Entsetzen einfach hinaus, geschmeidig wie ein Raubtier.
„Ist das dein Ernst?“ Unbehaglich lehnte Maxim sich hinaus und sah ihm nach, wie er in Richtung Dachfirst davonstieg. Eine Art Trittleiter war in die Schindeln eingelassen, aber das ließ die Aktion kaum weniger gefährlich aussehen. Doch offenbar war Rufus davon überzeugt, dass Maxims Behinderung keinen Grund darstellte, ihm nicht zu folgen. Also atmete er tief durch, nahm seinen Mut zusammen und tat dies vorsichtig. Zu seinem Erstaunen stellte er sich dabei gar nicht mal ungeschickt an, obwohl seine Beine doch ein wenig zitterten. Der First war außergewöhnlich breit, man konnte bequem auf ihm sitzen. Dort ließen sie sich nieder. Maxim war heilfroh, den Aufstieg lebend hinter sich gebracht zu haben.
Rufus lächelte und breitete die Arme weit aus. „Willkommen im Krähennest.“
Erst jetzt sah Maxim sich um und staunte. Die Aussicht war berauschend. Man konnte das halbe Viertel überblicken von hier oben. Tatsächlich fühlte es sich an, als säße man im Ausguck eines stolzen Dreimasters. Der milde Sommerwind brauste ihm verspielt um die Nase. Die Häuserreihen fächerten sich unter ihnen auf wie zinnoberrote Wellen. Die gemächlich vorübersegelnden Wattewolken wirkten nahezu greifbar. Als müsste man nur die Hand ausstrecken, um sie zu streicheln, und sie würden schnurren wie Katzen. Über den Dächern war die Welt eine ganz andere. Sie sah zerbrechlich aus und schützenswert. Maxim schloss versonnen die Augen, um sich ausgiebig von der Sommersonne küssen lassen.
Schon nach kurzer Zeit wurde das gemeinsame Sonnenbad mit Rufus zu einem täglichen Ritual. Manchmal nahmen sie Lesestoff mit, lasen schweigend, oder lasen einander vor. Er war froh, dass Rufus ihm diesen Ort gezeigt hatte. Jeder kleine Vertrauens- und Freundschaftsbeweis seinerseits war ihm kostbar. Doch sein letztes Geheimnis behielt Rufus beharrlich für sich, wer er war, was ihn ins Café der Nacht verschlagen hatte. Er erzählte nie aus seinem Leben, verriet nicht ein Wort über seine Vergangenheit. Oft wollte Maxim ihn fragen, doch er spürte, dass es hier eine Grenze gab, die er nicht überschreiten durfte.
Rufus las ihm Rimbaud vor, dessen rauschhafte Worte ihn tief in der Seele berührten. So lebenstrunken, so alltäglichkeitsfern, so sprudelnd wahr und schmerzhaft authentisch.
„So zu leben“, fragte Maxim nachdenklich, „Wie muss das sein?“
„Reichlich dämlich“, bemerkte Rufus trocken.
„Rufus, du bist mit Abstand der unromantischste Mensch der Welt.“
„Und stolz darauf.“ Lässig gegen den Schornstein gelehnt, schmunzelte er in sich hinein. Hitze flirrte in der Luft. Der Tonduft der Dachziegel umwehte alles. In einem Haus gegenüber hatte ein Tenor das Fenster weit geöffnet und übte routiniert seine Tonleitern. Der Gesang schallte über den ganzen Platz, vom Wind verzerrt. Maxim blickte hinunter auf die Welt unterhalb des Dachfirsts.
Rufus schlug sein Buch zu und legte es vor sich auf den First. „Merlyn macht sich übrigens Sorgen um dich.“
„Wieso das denn?“
„Er ist eben unsere alte Kupplerin. Er findet, du solltest nicht länger allein sein.“
„Ich?“ Auf dieses Thema war er nun wirklich nicht gefasst gewesen. Maxim blickte unbehaglich auf die Dächerwelt hinunter. „Du bist doch auch Single!“
Rufus warf ihm einen vielsagenden Blick zu. Er brauchte Nona nicht zu erwähnen. Es war ein unausgesprochenes Geheimnis zwischen ihnen, was er für die Sängerin
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