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Café der Nacht (German Edition)

Café der Nacht (German Edition)

Titel: Café der Nacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susann Julieva
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mannshohen Maisfeldern hinter dem zum Ortsende gehenden Vorortfenster gesungen. Dort unten lauerte Loup Garou, raschelten Wiedergänger aus verlorener Zeit. Wesen, von Angst gezeugt, die in allen Erdteilen im Volksglauben ihr Unwesen trieben. Bannsprüche und Abwehrzauber, er kannte die Folklore gut. Er wusste, was das Wort Angst wirklich bedeutet. Er hatte der Essenz dieser Nachtmahre ins Auge geblickt. Darin weilte das Nichts, die dunkle Nacht der Seele. Es war nicht die lauernde Angst an sich, die am schlimmsten war. Am schlimmsten war die Furcht vor der Angst. Vida aber war sein Talisman, sein Nazar. Wenn er ruhelos wach lag, wenn plötzlich doch die Schatten wuchsen und sich aus den Ecken schälten, konzentrierte er sich darauf, Vida mit seinen Gedanken zu malen, jeder Millimeter ihres Gesichts vertraut und sicher.
    „Irgendwann werde ich fortgehen müssen“, hatte sie eines Nachts gesagt. Herbstahnung gab der Luft einen bitteren Geschmack. Die Sterne leuchteten hinter ihrer schwarzen Silhouette.
    „Ich weiß. Und du solltest nicht bleiben um meinetwillen.“
    Ihre unergründlichen Augen hatten ihn angesehen, nur Glanz im Dunkel des Raumes. Intuitiv hatte er dennoch ihre Gedanken erraten. Leise knarrte das alte Holzbett unter der behutsamen Verlagerung seines Gewichts. „Du solltest gehen, solange du noch kannst.“

Entdeckungen
     
    Ende November war es feucht und unfreundlich. Wabernde Nebel zogen nachts durch die verwunschenen Gässchen des alten Viertels. Die Straßenlaternen blinkten wie Irrlichter im gespenstischen Dunst. In der Innenstadt funkelten die Schaufenster im vorweihnachtlichen Festglanz. Im alten Viertel standen Lichtbogen in den Fenstern, hoffnungsvolle Schimmer in der Dunkelheit. Das Kätzchen entwickelte unerwartete Kreativität und produzierte kunstvolle Tannenzweiggestecke, die sie im Café in jeder freien Ecke platzierte. Es vertiefte die anheimelnde Stimmung. Der Duft der dunklen Nadeln, des Harzes der Zweige, weckte in Maxim unwillkürlich Erinnerungen an den prächtigen, hohen Baum, der zuhause jedes Jahr in der Eingangshalle aufgestellt worden war. Seine Mutter hatte ihn selbst dekoriert, über und über mit filigranen, geschmackvollen Wunderwerken, glänzenden Kugeln, über Generationen vererbt. Aus der Küche war nachmittags der köstliche Geruch von Hildas frischgebackenen Plätzchen gedrungen und durchs ganze Treppenhaus gezogen, unter seiner Türritze hindurch. Er hatte ihn stets von seinen Büchern wegzulocken vermocht. Sein Vater hatte von solchen Sentimentalitäten nichts gehalten, die Frauen jedoch gewähren lassen, so, wie man Schwachsinnigen ihre wirren Gedankengänge lässt.
    Während der Winter auf leisen Sohlen nahte, stahl sich heimlichVeränderung ins Künstlerhaus. Ariels Ruhm und Monroes aufsehenerregendes Theatercomeback hatten das Café der Nacht in der exklusiven Münchner Szene in aller Munde gebracht. Zu ihrer Verwunderung erlebten die Stammgäste, wie ihr versteckter Hafen, in dem sie all die Jahre fast unter sich gewesen waren, plötzlich als schick galt. Die Freie Szene, das vernachlässtigte Viertel mit seinen schrulligen Werkstattgalerien und Kellerlochbühnen, um das sich jahrzehntelang die Kunstelite keinen Deut geschert hatte, rückte schleichend in den Blick einer größeren Öffentlichkeit. Die Wallerhoven hatte angefangen, mit ihren wohlhabenden Freundinnen das Café zu frequentieren. Es dauerte nicht lange, und sie stellte mit großem Erfolg Vinzenz Zinnhobel aus. Der Mittfünfziger produzierte die filigransten Aquarelle, kleine Wunderwerke. Hatte er bisher am lautesten über elende Geldnöte geklagt, erlebten seine Bilder plötzlich eine sprunghafte Wertsteigerung. Die Gale ristin lauerte auf Ariel wie eine Spinne, die ihr Opfer um jeden Preis ins Netz locken will. Seltsamerweise schien er sie irgendwie zu mögen. Sie war eine Frau von Welt, geistreich, charmant, geübt im Umgang mit verletzlichen Künstlerseelen. Schließlich bekam sie, was sie wollte. Ariel ließ sie seine Bilder vertreiben. Tatsächlich schien sich seine Lage dadurch gewaltig zu verbessern, denn Gloria übernahm routiniert das Management, und ihm alle ungeliebten Entscheidungen ab.
    Nicht wenige Künstler des Cafés fühlten sich nach bitteren Jahren der Verkennung und Verschmähung durch die neue Aufmerksamkeit bestätigt, blühten auf. Sie schritten mit gesteigertem Selbstbewusstsein durch die Räume. Doch es gab auch solche, die der Veränderung skeptisch

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